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Oktober 1855
(warum nicht auch in Betreff oesterreichs?) zwischen könig und nation
unterscheidet. spanien aber ist entschieden russisch oder vielmehr anti-
westmächtlich.
ich lebe hier noch immer, soweit mich meine geschäfte nicht in Anspruch
nehmen, ganz mit und um mrs. norton, neulich waren wir mit einander
anderthalb tage in fontainebleau, sahen uns garten und schloß an und
brachten die übrige Zeit bey der hübschen mrs. Petre zu, auch lady harriet
cowper war dort. hier esse ich oft mit ihr entweder bey ihr oder in irgend
einem Restaurant, flanire vor Tische, gehe ins Theater oder trinke Abends
thee bey ihr. da ich in diesem Augenblicke sonst wenig Bekannte hier habe,
so lebe ich ganz mit ihrer umgebung. lord und lady holland sind ebenfalls
hier und sehr artig gegen mich, neulich aß ich mit mrs. norton und sir
henry Bulwer dort, sie haben einen ganz angenehmen salon. caroline nor-
ton ist mir eine liebe, gute, herzliche freundinn, der ich aufrichtig zugethan
bin, aber sie ist mir dießmal von weniger geistiger ressource, als ich erwar-
tet hatte, sie ist zu exclusiv englisch und auch dieses mehr von der weiblich
fashionablen seite, d.h. sie nimmt ein lebhaftes interesse an ihren freun-
den, deren politischen leben und intriguen, was darüber hinaus reicht, ver-
steht sie kaum und interessirt sie nicht, wäre ich gesandter in england, so
könnte und würde sie mir von sehr großem nutzen seyn, so aber kaum.
gabriele neuwall sehe ich zuweilen, in circa 8 tagen denke ich, nach
Wien zurückzukehren und dort die eisenbahnangelegenheit zu entamiren,
unterwegs will ich mich in derselben sache in frankfurt aufhalten und mit
Blittersdorf sprechen. ich habe dieses uncomfortable Pariser Wirthshaus-
leben schon ziemlich satt und gehe ganz gerne wieder nach hause.
clotilde lottum ist hier und marie Bujanovics, überhaupt eine menge
größerer und kleinerer sünden aus vergangener Zeit, für den Augenblick
aber ich bin [sic] ein wahres muster an tugend, nicht einmahl bey mabille1
bin ich bisher gewesen, geschweige denn anderswo, mirandum potius quam
imitandum.
es ist ein charakteristisches Zeichen der jetzigen geldklemme, daß tal-
abot & c. mit hast auf meinen Antrag eingingen, daß die regierung sich
mit 1/3 an dem Baue betheiligen wolle, ja daß dieser Antrag, welchen Bruck
mir noch vor 4 Wochen als einen solchen bezeichnete, auf den speculative
unternehmer nicht eingehen würden, sie eigentlich erst bestimmte, jetzt
gleich einen förmlichen Anboth zu machen, wogegen sie sich gesträubt hat-
ten, bis ich mit jenem Antrage herausrückte.
nigs Wilhelm i., und Prinzessin victoria, tochter der englischen königin, fand erst am
28.1.1858 statt.
1 einer der bekanntesten Ballsäle von Paris in der Avenue montaigne.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien