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man spricht und denkt jetzt hier nichts Anderes als die finanzoperatio-
nen, die überlassung von 150 millionen staatsgüter an die Bank zur dek-
kung ihrer forderung von 155 millionen an den staat ist heute officiell
kundgemacht worden, ich erwarte davon Alles eher als eine herstellung der
valuta. Auch die hypothekenbank, welche heute publicirt worden ist und
wofür eine neue emission von Bankactien für 35 millionen fl silber eröffnet
worden ist, scheint mir ein todtgeborenes kind, im Publikum scheint man es
ebenso anzusehen, und wie Blittersdorf schreibt, ebenso in deutschland.
eine größere Zukunft verspreche ich mir von dem crédit mobilier, welcher
heute mit rothschild und den zu ihm stehenden böhmischen, ungarischen
etc. gutsbesitzern abgeschlossen worden ist.1 Pereire wäre also enfoncirt
und mit ihm sina, eskeles etc., ein gefährlicher Antagonismus. Als erstes
geschäft und Accessorium soll dieser neuen gesellschaft die Pacht der italie-
nischen Bahnen überlassen werden. Jedenfalls ist dieser Abschluß mit roth-
schild auch für meine Bahn ein günstiges ereigniß.
Auf jeden fall, und mögen auch einzelne dieser finanzmaßregeln verfehlt
seyn, kömmt durch Alles dieses ein größeres leben und umschwung in un-
sere verkehrsverhältnisse, der nationalreichthum wird dabey gewinnen
und dadurch mittelbar der staatshaushalt, ob dieser aber einen weiteren,
unmittelbaren nutzen daraus schöpfen wird, d.h. ob valuta und gleichge-
wicht im Budget dadurch hergestellt werden? ist mir sehr zweifelhaft.
neulich packte mich grünne auf der straße an und redete mir zu, meine
vorjährigen (von ihm mir aufgedrungenen) schritte wegen einer ämtlichen
verwendung nunmehr zu wiederholen, er meinte, der kaiser würde nicht
nur nicht gegen, sondern gewiß für eine solche verwendung seyn, was heißt
Alles das?
ich erzählte diesen vorgang Bruck, welcher mir aber ebenso entschieden
widerrieth und meinte, es wäre für mich und auch für die Zukunft viel bes-
ser, wenn ich einstweilen bey meiner jetzigen, außerämtlichen thätigkeit
verbleibe, an stoff und gelegenheit zu einer umfassenderen und lohnenden
Beschäftigung werde es für mich jetzt, wo so vieles neue entstehen werde,
am allerwenigsten fehlen. dieses will ich um so mehr befolgen, als ich unter
den jetzigen verhältnissen weniger als je lust habe, das krachende staats-
schiff zu besteigen, und mich überhaupt vor der hand an Bruck halten will,
der noch der einzige achtungswerthe mann in der ganzen boutique ist, üb-
sächlich in süddeutschland geltend machen. im norden wird oesterreich jederzeit im
nachtheil gegen Preußen stehen. deshalb habe ich es von Anfang an für einen mißgriff
gehalten, daß man in oesterreich und Baiern mit der eisenbahn vom süden nach norden
den Anfang gemacht hat. damit hat man der haupthandelsstadt oesterreichs, triest, sei-
nen markt entzogen, der jetzt mühsam wieder erobert werden muß.“
1 Zur gründung der credit-Anstalt für handel und gewerbe siehe eintrag v. 19.10.1855.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien