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März 1856
begünstigt beyde, das silberagio ist schon beynahe auf pari gefallen, aller-
dings ein großer triumph für Bruck, vom Auslande strömt geld herein, um
unsere industriepapiere zu kaufen, die daher ganz enorm steigen, ich denke,
eine furchtbare reaction und crisis muß früher oder später eintreten.
es wird immer wahrscheinlicher, daß der friede zustandekommen werde,
und dann werden administrative und politische reformen wohl nicht lange
ausbleiben, der Absolutismus ist ohnehin seit dem tode des großen Wau-
wau, kaiser nicolaus, gebrochen, denn vor den hiesigen Potentaten fürchtet
sich kein kind, und die industrielle emancipation muß nothwendigerweise
zu solchen reformen führen, das ist auch, wie ich glaube, Bruck’s Ansicht,
nur finde ich keinen gefallen an den mitteln, welche er dazu anwendet,
wenn sie auch unter den jetzigen verhältnissen vielleicht die einzig practi-
schen seyn mögen.
der kaiser hat meine Wahl zum verwaltungsrathe der Westbahn ge-
nehmigt und (wie mir wenigstens Bruck sagte) mit schmeichelhaften und
freundlichen Ausdrücken. dieser schien darüber eine sehr große freude zu
haben und sagte mir, er hoffe, damit sey nun ein erstes loch gebohrt. ich
nehme das Alles ziemlich kühl. ich habe die freude und lust an den dingen
verloren, und sogar der ehrgeiz läßt mich bey den gegenwärtigen Zeitläuften
im stiche, ich bin blasiert und ermüdet, und was um mich vorgeht, ekelt
mich an, doch hoffe ich, daß auch dieser Zustand vorübergehen werde, an
elasticität hat es mir ja bisher nie gefehlt.
meine arme gabriele [neuwall] hat einen wahren leidenskelch zu lee-
ren, und dieser reagirt natürlich auch auf meinen gemüthszustand, denn
ich liebe und verehre sie wo möglich noch mehr als sonst, ihr mann, ein er-
bärmliches characterloses subject, zu feig, um einen männlichen entschluß
zu fassen, neckt und nergelt tag und nacht an ihr, so daß ihr ohnehin
krankhafter nervenzustand und ihre schlaflosigkeit sich täglich verschlim-
mern, von ihrer familie hat sie keinen schutz zu erwarten, eher würde diese
Partey gegen sie nehmen, und sie selbst hat ein übertriebenes gefühl ihres
vermeintlichen unrechts und eine tiefe der empfindung, wie sie mir kaum
noch vorgekommen ist. ich sehe es dießmal deutlich: es gibt kein glück au-
ßer in einer legitimen neigung, die Welt hat es einmahl mit ihren tausend
fesseln und verkehrtheiten dahin gebracht.
[Wien] 16. märz Palmsonntag
der friede ist sogut wie unterzeichnet, und Preußen ist eingeladen worden,
ihn mit zu unterzeichnen, in diesem sinne also den konferenzen beyzutre-
ten. Weiter verlautet noch nichts, also auch nicht über die Bedingungen etc.
Zugleich, was einer komödie ziemlich ähnlich sieht, ist die kaiserinn
eugénie in Wehen gekommen, und man erwartet stündlich die nachricht
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien