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April 1856
diese zwey bisherigen Antagonisten, gewonnen, ich habe emerich Bethlen
in dieser Angelegenheit mit Bruck in verbindung gesetzt, und sie scheinen
sich gegenseitig zu gefallen. durch alle diese dinge gewinnt er sich zahlrei-
che und einflußreiche Anhänger in allen Provinzen, namentlich Aristokratie
und grundbesitz, welche bey diesen comités, verwaltungsräthen etc. an die
spitze treten, und stärkt sich auch in politischer hinsicht für den hoffentlich
bald eintretenden fall eines conflictes mit Bach. meiner Ansicht nach hat
er in dieser Beziehung keine Zeit zu verlieren, denn auch seine feinde sind
thätig, und niemand ist Bruck’s ärgerer feind als Bruck selber, nicht nur
daß er toggenburg und noch andere minister ganz rücksichtslos behandelt,
ihre geschäfte an sich reißt und sie daher gegen sich aufbringt, sondern die
Art, wie er sich in alle diese unternehmungen einläßt, die détails, in die er
eingeht, der despotismus, mit dem er in dieser Beziehung verfährt, erhöht
den ohnehin schon seit jeher bestandenen verdacht der sorge für den eige-
nen säckel, er hat aber jetzt für nichts Anderes sinn und gehör als für diese
mitunter ziemlich schwindelhaften unternehmungen, die anderen Zweige
seines ministeriums vernachlässsigt er ganz, es sieht jetzt in seinem vorzim-
mer aus wie auf einer Winkelbörse von Juden und Projektemachern.
Was mich betrifft, so habe ich mir das politische, recte das administrative
feld reservirt und rüste mich auf den vielleicht bald eintretenden kampf,
jedoch ohne ein sehr lebhaftes interesse, einen vollständigen erfolg erwarte
ich kaum, und einen halben würde ich nicht wünschen, zudem ist das ganze
für mich ein compromiss, ein wenigstens momentanes Aufgeben des Pes-
simismus, dem ich mich seit Jahren ergeben habe. die große lektion der
gerechtigkeit, discite justitiam moniti, der tag der Wiedervergeltung (nicht
für persönliche unbild, denn die ist klein, nicht der rede werth, und ich habe
daran nie gedacht, wohl aber für das verletzte heiligste recht, für gebro-
chenes Wort, für unrecht und ungesetzlich vergossenes Blut, für himmel-
schreyende versündigung an dem geiste und an der entwickelung unseres
volkes), welchen ich erwartete und noch immer erwarte, tritt momentan in
den hintergrund und mit ihm der endzweck meines lebens und aller mei-
ner thätigkeit.
Am liebsten wäre mir, ich wäre weg von hier und stünde draußen, ent-
fernt von allen diesen Jüdeleyen und politischen klopffechtereien, bey denen
doch nichts erkleckliches herauskömmt, und deßwegen wünschte ich einen
diplomatischen Posten.1
1 in diesem sinn äußerte sich Andrian auch gegenüber seiner schwester gabriele am
23.3.1856 (k. 114, umschlag 662), die er ersuchte, beim generaladjutanten des kaisers,
graf karl grünne, zu intervenieren, wobei er die Bestätigung seiner Wahl zum verwal-
tungsrat der Westbahn als positives Zeichen sah, da „der kaiser sich bey meiner neulichen
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien