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September 1856
schwierigste und odioseste sind) in das stadium einer sich allmälig ordnen-
den verwaltung. Wenn mir keine neuen dinge mehr über den hals kommen
(wie es freylich sehr den Anschein hat), so wäre nunmehr das Ärgste über-
standen.
der Bau der Westbahn geht rüstig vorwärts, es herrscht da ein vortreff-
licher geist und viel eifer, das deutschösterreichische element waltet hier
vor, und ich halte der büreaukratischen Ängstlichkeit Wickenburgs mög-
lichst Widerpart. Wir sind trotzdem ganz gute freunde, obwol er vielleicht
erwartet hatte, mich gefügiger zu finden.
Auch die italienische gesellschaft kommt endlich in gang, obwol die sta-
tuten noch immer nicht bestätigt sind. talabot ist endlich gekommen mit
einem halben dutzend fertiger reglements im sacke, die wir alle im ver-
trauen auf seine große erfahrung in diesen Angelegenheiten versuchsweise
angenommen haben. ich bin ihm dazu als Präsident des organisirungsco-
mités sehr behülflich gewesen, da ich dieses als den einzigen Weg ansah,
um aus dem chaos, das täglich ärger zu werden drohte, herauszukommen,
später werden wir sehen, ob und was zu ändern seyn wird, heute und ge-
stern sind nun die herren re bene gesta abgereist, galliera etc. nach Paris,
talabot, Busche, Biegler etc. aber nach italien, um dort an ort und stelle die
nöthigen einleitungen zu treffen.
ich habe mit diesen dingen seit 14 tagen angestrengt zu thun gehabt,
mein organisationscomité, welches aus lauter engherzigen, eigensinnigen
ministerialräthen besteht, die sich immer nur als die vertreter ihrer respec-
tiven ministerien ansehen, hat mir viel zu schaffen gegeben. ich bin Präsi-
dentenstellvertreter und habe als solcher während feri Zichys kurzer Abwe-
senheit ihn zu vertreten, seit gestern habe ich an Wickenburg das Präsidium
der Westbahn wieder abgetreten. Zichy kömmt übrigens am 6. zurück, und
dann denke ich auf 8 tage nach ischel zu gehen, um reine Bergluft zu ath-
men.
hierauf will ich wieder hieher kommen, doch nur auf einige tage, da ich
während dieser Zeit diezel’s ernennung durchzubringen hoffe. ein Anlauf,
den ich gestern dazu nahm, scheiterte an formellen Bedenklichkeiten, an de-
nen unsere ministerialräthe besonders reich sind. Zudem ist am 15. hier die
versammlung der deutschen naturforscher, wozu sich unter anderen orges
aus Augsburg bey mir angemeldet und mir einige seiner letzten politischen
Aufsätze über österreichische verhältnisse, namentlich auch über unsere
marine, eingeschickt hat. obwohl ich eigentlich nicht weiß, was er von mir
will, so halte ich es doch für die mühe werth, ihn darüber zu sprechen.
gegen den 20. möchte ich dann einen Ausflug von 2–3 Wochen nach ham-
burg und Paris unternehmen.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien