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Tagebücher274
[Wien] 18. september
ich fuhr am 7. früh per dampfschiff von hier ab. Briegleb aus coburg, wel-
cher bis grein mitfuhr, war der einzige Bekannte auf dem Boote. tags dar-
auf um 7 uhr früh waren wir in linz, und da die eisenbahn schon abgegan-
gen war, nahm ich einen fiaker, welcher mich außerordentlich rasch nach
gmunden führte, wo ich um 3/4 2 gerade vor Abgang des letzten dampfschif-
fes ankam, so daß ich um 1/2 5 in ischel war und im hôtel Bauer abstieg.
An diesem und am morgen des nächstfolgenden tages hatte ich theils
schlechtes, theils zweifelhaftes Wetter, welches sich aber dann aufheiterte,
der 10., 11. und 12. waren ganz herrliche tage, die ich größtentheils mit spa-
zierengehen verbrachte, die einzige größere Parthie, die ich machte, war am
10. nachmittags nach strobl und Wolfgang über den see, ganz allein, eine
der reizendsten Parthieen, deren ich mich erinnere.
ich fand in ischel eine menge Wiener Bekannte, von denen ich haupt-
sächlich reischach, Walmoden, ministerialrath reich sah. einmal aß ich
bey Walmoden und war ein paarmal des Abends im theater in seiner loge.
diese köstliche Bergluft, die herrliche gegend und das ganze dortige leben
thaten mir wohl und behagten mir so gut, daß ich ischel nur ungern verließ.
Am 12. früh fuhr ich fort, nach hallstadt, stieg von da auf den rudolphs-
thurm, wo ich mir die celtischen gräber, die Ausgrabungen, skelette und
sonstigen merkwürdigkeiten besah (Bergmeister ramsauer, der sie leitet,
scheint ein sehr tüchtiger wissenschaftlicher mann zu seyn) und dann am
see im Pavillon seeauer aß, nachher fuhr ich über den see nach obertraun,
fand dort die von Aussee bestellten Pferde und war um 7 in Aussee. tags
darauf um 12 uhr fuhr ich im eilwagen mit vinzenz morzin von Aussee ab
und war nach einer ziemlich ermüdenden fahrt des andern morgens um
8 in Bruck, wo eben der kaiser, von seiner kärnthner- und steyermärker-
reise kommend, durchfuhr. um 1/2 1 fuhr ich mit dem eilzuge ab, zum er-
stenmahle per eisenbahn über den semmering, ein großartiges Werk, mehr
durch die kühnheit der ganzen Anlage als durch seine einzelnen Bauten,
und war um 6 Abends in Wien, dieser ganze Ausflug hat mir sehr wohl
gethan.
hier bin ich nun wieder in voller Arbeit, die italienische gesellschaft, de-
ren statuten vor 3 tagen genehmigt worden sind, gibt mir soviel zu thun,
daß ich noch kaum zu etwas Anderem Zeit gehabt habe. ich widme mich
übrigens dieser Arbeit mit vergnügen, da ich mit feri Zichy auf dem allerbe-
sten fuße stehe, und er mich auf das kräftigste unterstützt.
nur in einem habe ich bis jetzt noch nicht durchdringen können, und das
ist gerade das, was mir am meisten am herzen liegt, die Anstellung diezels
bey unserer gesellschaft. die sache hat schon an sich ihre schwierigkeiten,
weil ich mich über seine Antecedentien, aus furcht, Bedenklichkeiten zu er-
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien