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rené taillandier, Philarète chasles etc. nur den directeur der revue des
deux mondes, m. Buloz, lernte ich durch cousin kennen und war ziemlich
befriedigt über das, was ich an ihm fand.
nothwendig ist es, daß die leute, welche eine neue schule in dieser rich-
tung gründen wollen, sich in allen ländern die hand reichen, das übermaß
der centralisation, wie es jetzt seit dem 2. december 1851 in frankreich
herrscht, scheint sogar dort eine reaction gegen den Absolutismus der
staats
idee hervorzurufen.
überhaupt scheint mir, daß das herrschende system in frankreich seit
dem vorigen Jahr an terrain verloren hat. die furcht vor den rothen läßt
allmälig nach, seit dem frieden fangen die leute an sich zu langweilen, und
die materiellen Zustände verschlimmern sich trotz aller brillanten Außen-
seite, führt l. napoléon nicht bald irgend ein neues spektakelstück vor, so
geht es allmälig mit ihm zu ende. die französische nation aber versinkt im-
mer tiefer in demoralisation und materialismus, nur der physische muth
unterscheidet sie noch vom italiener, und die nächste generation wird viel-
leicht auch diesen verloren haben.
emerich Bethlen besuchte mich viel in den letzten tagen. caroline nor-
ton blieb länger als ich, der ich Paris am 4. Abends verließ. Am 5. früh war
ich in namur und brachte den tag bey Auguste horrocks zu, welche mit
ihren allerliebsten kindern allein zu hause war, sie lebt in sehr beschränk-
ten, jedoch glücklichen verhältnissen, und ihre ideen, ihre interessen haben
sich diesem engen kreise vollkommen angepaßt, von Allem, was außerhalb
dieses kreises steht, hat sie nur für einen gegenstand interesse, nämlich
für mich, und dieses noch ganz mit derselben Wärme (wenn auch anderer
natur) als wie vor 20 Jahren. Begreiflicherweise gibt es denn zwischen uns
sehr wenige Berührungspunkte, wir sind eben zu weit auseinandergekom-
men, was mich jedoch wahrhaft freute, war die Anhänglichkeit ihrer kinder,
selbst der die ich noch nie gesehen hatte, an mich.1
Am 5. Abends fuhr ich wieder ab und war am 6. spät des Abends in Berlin,
wo ich den folgenden tag blieb und mich herzlich langweilte, Abends in die
oper, recte Ballett, ging und dann um 1/2 11 abfuhr. Am 8. Abends 8 uhr
war ich hier.
hier ist Alles mit der finanziellen verwirrung beschäftigt, welche sich un-
serer Börse mehr noch als in Paris und london bemächtigt hat. Alle Papiere
sind colossal gefallen, wie es bey der geldarmuth dieses landes und dem
unternehmungsschwindel der letzten monathe nicht Anders zu erwarten
war. es sind nun die leidenschaftlichsten recriminationen in der Presse und
1 Augusta horrocks hatte einen sohn Alexander, und drei töchter, Auguste und – in erinne-
rung an ihre Beziehung zu Andrian und dessen schwester – gabrielle und Andrienne.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien