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Oktober 1856
im Publicum, namentlich gegen die creditanstalt, an der tagesordnung, und
wirklich scheinen einige verwaltungsräthe derselben ganz schamlos oper-
irt zu haben, was eigentlich niemanden wundern sollte, da es notorische
galgenstricke sind, daß Alles dieses am ende auf die schultern Brucks zu-
rückfällt, versteht sich, er ist gestern nach ischel, um dem kaiser das neue
steueredikt vorzulegen, wodurch u.a. die grundsteuer bedeutend erhöht
werden soll,1 dadurch wird er sich auch seine letzten Anhänger entfremden.
Wir haben sehr schöne herbsttage, doch leide ich seit mehr als 8 tagen
an halsschmerzen, welche in den letzten tagen meines Pariser Aufenthalts
sogar mit ziemlichem fieber verbunden waren.
diezel erwarte ich in 2–3 tagen, ich werde ihn provisorisch eintreten las-
sen und dieses Provisorium solange dauern lassen, bis ein geeigneter mo-
ment da ist, um es in ein definitivum zu verwandeln. meine reise nach
italien ist übrigens aller Wahrscheinlichkeit nach zu Wasser geworden.2
Zichy hat nämlich, als ich ihm meine Bedenken ausdrückte, es doch für an-
gemessen gehalten, mit grünne darüber zu sprechen, und dieser sagte ihm
zwar in der freundschaftlichsten Weise für mich, es wäre für mich klüger,
nicht nach italien zu gehen, um dort den kaiser zu empfangen, ich hätte
einmahl feinde, die er selbst nicht kenne, und vorgefaßte meinungen gegen
mich, auf die er bey wiederholten Anlässen beym kaiser gestoßen sey, und
es würde mir gewiß nicht angenehm seyn, mich einem unfreundlichen emp-
fange aussetzen zu müssen, er meinte daher, wenn dieses sich noch auf eine
gute Art rückgängig machen ließe, so sollten wir, Zichy und ich, es thun. Als
mir Zichy (noch vor meiner Abreise nach Paris) dieses mittheilte, erwiederte
ich, wie dieses auch wirklich der fall war, dass ich auf diese mir ganz un-
erwartet und ohne mein Zuthun zugemuthete reise gar keinen besonderen
Wert lege, mir dieselbe eher unangenehm als angenehm sey, daß es aber
nicht nothwendig sey, darüber jetzt schon einen entschluß zu fassen, indem
es noch nicht ausgemacht sey, ob grünne wirklich eine überlegte Ansicht
oder nur einen ersten flüchtigen gedanken ausgesprochen habe. Jedenfalls
würde ich in jenem falle selbst die hand dazu biethen, die sache ohne Auf-
sehen rückgängig zu machen. Zichy und ich kamen überein, dieses bis zu
meiner rückkehr ruhen zu lassen. dieses hat er nun aber nicht gethan, son-
dern einen mezzo termine ergriffen, gegen den sich an und für sich nichts
1 die Ausschreibung der direkten steuern für 1857 (genehmigt mit Allerhöchster entschlie-
ßung v. 14.10.1856) erfolgte am 25. oktober. die steuersätze blieben gegenüber 1856
grundsätzlich unverändert, jedoch wurde die grundsteuer in ungarn, kroatien und dem
Banat auf den im rest des reiches gültigen satz von 16% angehoben.
2 es handelte sich um die frage, wer das kaiserpaar bei seiner geplanten italienreise im na-
men der Actien-gesellschaft der lombardisch-venetianischen eisenbahnen begrüßen und
begleiten sollte, vgl. eintrag v. 18.9.1856.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien