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Tagebücher286
die staatsfinanzen stehen auf demselben Punkte wie vor zwey Jahren
und können auch bey den auswärtigen politischen verhältnissen, bey unse-
rer inneren organisation und bey der Willkür, mit welcher verfahren wird,
nicht anders stehen, die geldverschleuderung für militärische Ausgaben hat
nur wenig abgenommen, und die gründung einer marine, welche jetzt das
neueste (allerdings zu anderer Zeit sehr löbliche) steckenpferd des kaisers
oder vielmehr seines Bruders ist, verschlingt enorme summen. Bruck hat
für seine eigentliche Aufgabe, die regulirung der finanzen und des steu-
ersystemes, kein verständniß, und noch weit weniger für das, was ich und
viele Anfangs von ihm erwarteten: die reform und reorganisation des ge-
sammten staatswesens.
ich habe in meinen beyden eisenbahngesellschaften bisher ziemlich viel
zu thun gehabt, indem sowohl Wickenburg als Zichy in dieser letzten Zeit
meistentheils abwesend waren, namentlich gibt es bey der italienischen ge-
sellschaft zu thun, da Alles erst zu organisiren ist, und nebstdem die eigen-
thümlichen verhältnisse derselben die Behandlung der geschäfte compli-
ciren. Wenn Wickenburg zu sehr ein bureaukratischer Pedant ist, so ist es
Zichy zu wenig, es wird von ihm Alles nur im fluge und gleichsam desulto-
risch behandelt, so daß die übersicht des ganzen fehlt, und die untergeord-
neten Beamten einen zu großen einfluß auf die geschäfte erlangen. übri-
gens bin ich mit Zichy fortwährend auf dem besten fuße, und er thut nichts,
ohne mich zu rathe zu ziehen und bis jetzt wenigstens noch nie etwas gegen
meine Ansicht, so daß das büreaukratische element, welches Anfangs sich
breit zu machen drohte, vollkommen paralysirt ist.
ich hatte neulich eine ganz dramatisch-komische scene mit Bruck in Be-
treff einer anticipirten Zahlung von 10 millionen lire, welche ihm von der
gesellschaft bereits zugesagt war, wogegen aber die Pariser verwaltungs-
räthe nachträgliche einsprache erhoben. Bruck spielte seine rolle vortreff-
lich, und ich war ein dankbares Publikum, ohne mich jedoch einen Augen-
blick täuschen zu lassen.
ich habe mich mit dem „Wanderer“ in eine feste verbindung eingelassen.
so schlecht das Blatt bisher war und zum theile noch eine Zeit lang bleiben
wird, so war es doch das einzige, welches zu haben war. Alle anderen Blätter
stehen entweder einem oder dem anderen minister nahe, oder sind sie eine
Privatspekulation ihres eigenthümers. ein neues Blatt gründen oder eines
der bestehenden förmlich an mich bringen, das konnte mir unter den gegen-
wärtigen verhältnissen, da die regierung mißtrauischer als je die Presse
überwacht, nicht einfallen, namentlich da mein nahme doch bekannt gewor-
den wäre, und man gerade mich mehr als jeden Anderen fürchtet. Zudem
ist der Wanderer doch wenigstens ein honnettes, unbescholtenes Blatt, was
man von wenig anderen sagen kann, und, was die hauptsache ist, hat eine
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien