Page - 287 - in „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“ - Tagebücher 1839–1858, Volume III
Image of the Page - 287 -
Text of the Page - 287 -
28728.
November 1856
große verbreitung in den Provinzen. mein Plan ist nun, nach und nach in
demselben fuß zu fassen, jedes Aufsehen, jede plötzliche frontveränderung
zu vermeiden (was mir um so leichter wird, als er bisher kaum eine recht
ausgesprochene farbe hatte), mir vor Allem tüchtige correspondenten in
den Provinzen zu verschaffen und so zu versuchen, wieviel sich bey unse-
ren jämmerlichen Preßzuständen in dieser richtung leisten läßt. ich will
vor der hand eine politische monatsschau liefern und diezel für Artikel von
mehr objectivem, theoretischen inhalte benützen, den Anfang hat er bereits
gemacht, und zwar mit einem Auszuge aus dem haywardschen Artikel im
north British review (den mir dieser in Paris verehrte) über die krimex-
pedition.1 Anglica und staatsrechtliche Artikel sollen nachfolgen. Auch ich
will mich wieder einarbeiten, denn ich habe bey dieser gelegenheit bemerkt,
dass ich ganz aus der übung gekommen bin und nicht mehr rasch schreiben
kann.
mit diezel habe ich übrigens meine wahre noth gehabt. nachdem ich ihn
glücklich hier über und bey der italienischen gesellschaft eingeschmuggelt,
kamen unglücklicherweise ein paar Artikel (hungriger literaten) in aus-
ländischen Blättern und auch in der Allgemeinen Zeitung über seine „Beru-
fung“ nach Wien, darauf Widerlegungen etc. Wahrscheinlich dadurch ver-
anlaßt, verweigerte ihm die Polizey vor etwa 3 Wochen die verlängerung
seiner Aufenthaltskarte. mittlerweile hatte die würtembergische regierung
diezel’s Persönlichkeit für wichtig genug gehalten, um über seine Berufung
(und zwar durch mich) eine eigene note an ihren hiesigen geschäftsträger
zu richten, worin sie jedoch den Wunsch aussprach, man möge ihn hier un-
behelligt lassen, offenbar um ihn los zu werden. glücklicherweise zeigte
mir spitzemberg diese note, welche er dem grafen Buol übergeben hatte,
der aber auf die ganze geschichte vergaß. Als nun dieser Anstand bey der
Polizey erhoben wurde, setzte ich spitzemberg, Werner etc. in angemesse-
ner Weise in Bewegung, mich selbst mußte ich im hintergrunde halten, um
nicht verdacht zu erregen und dadurch Alles zu verderben, ebensowenig
konnte ich Zichy ins vertrauen ziehen, weil ich nicht wußte, in wie weit ich
auf ihn würde zählen können. einstweilen hat er eine weitere zweymonath-
1 Wanderer v. 19 und 20.11.1856, jeweils morgenblatt, feuilleton: eine englische Beleuch-
tung der krim-expedition. in der einleitung wird der Artikel der north British review,
einer „in nahen Beziehungen zu der englischen regierung stehenden Zeitschrift“, als Be-
ginn englischer enthüllungen zur korrektur der französischen darstellung des kriegs be-
zeichnet, die daher auch für österreich von interesse seien. Abschließend heißt es: „die we-
sentliche Berichtigung, welche die jüngsten kriegsereignisse dadurch empfangen, verdient
gewiß einen raschen Eingang in die öffentliche Meinung zu finden, die durch französische
unwahrheiten, uebertreibungen und selbstüberhebungen in Bezug auf diese geschichte
in unerhörter Weise irre geführt worden ist.“
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien