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Februar 1857
ständige insinuationen, conversationen, instruktionen etc. terrorisirt, oft bis
zu den geringfügigsten kleinigkeiten herab. Was den herrn aber besonders
verhaßt ist, ist tendenz, ausgesprochene richtung, das erschreckt sie. doch
entmuthigt mich diese lage nicht im geringsten, sie reizt mich vielmehr an,
den versuch zu machen, ob ich nicht dessen ungeachtet durchschiffen und
den hafen erreichen kann? Andererseits haben diese ewigen consultationen
wieder das gute, daß man immer weiß, wo der Wind gerade her weht, und
sich darnach richten kann, ohne fürchten zu müssen, daß einem unvermu-
thet das donnerwetter einer verwarnung über den hals komme, und so win-
det man sich denn durch wie ein Aal, und wenn man gerade für den Augen-
blick nicht über englische verfassung schreiben soll, so schreibt man eben
über englische verwaltung oder über das gemeindewesen, über hypotheken-
banken, landesvertretungen, Ackerbaukammern, Waisencassen, über aus-
wärtige Politik etc., und kehrt überall den Pferdefuß des selfgovernment her-
aus und gewöhnt nach und nach das Publikum und die regierenden herren
(welche hierzulande Beyde noch einen großen respekt vor Allem gedruckten
haben) an diesen gedanken. egbert Belcredi war neulich hier, und ich habe
mit ihm manches, namentlich auch über die pecuniaire sicherstellung des
unternehmens (da es meine kräfte übersteigt, mich ganz allein darauf einzu-
lassen) verabredet.1 ich habe bey der sache vorzüglich eine sorge, und diese
ist, daß ich niemanden habe, dem ich in meiner Abwesenheit oder sonstiger
verhinderung die leitung mit Beruhigung übertragen könnte. ich hoffe zwar,
nach und nach grass immer näher an mich heranzubringen, doch zweifle ich,
ob dieses jemals soweit gelingen werde, und ebensosehr, ob er die capacität
besitzt, um ihn als mein Alter ego aufstellen zu können.
sonst gibt es nicht viel neues, und mein leben ist ein höchst einförmiges,
auch fängt das Bedürfniß einer ortsveränderung wieder an, sich bey mir ein-
zufinden. Wenn ich nicht sehr beschäftigt bin (und das bin ich gegenwärtig
nicht, wenn auch viel mehr als in den letztvergangenen Jahren), so fühle ich
in mir eine gewisse unruhe, welche es mir erst unangenehm und nach und
nach unerträglich macht, länger als ein paar monathe an demselben orte zu
bleiben. doch ist da mit einer excursion von ein paar Wochen geholfen.
das große ereigniß ist jetzt der Aufenthalt des kaisers in mailand. Wenn
sein empfang und der eindruck, welchen er dort macht, auch lange nicht so
glänzend ist, als die Zeitungen es sagen müssen, so scheint er doch seit der
1 graf egbert Becredi schrieb darüber in seinem tagebuch vom 5.2.1857: „viel über den
Wanderer mit v. gesprochen, der eben jetzt theilweise zu haben wäre. es handelt sich nur
darum, 10.000 fl. aufzubringen. […] auch desshalb, weil Bruck als Nichtbureaukrat und
kaufmann immer eher für einrichtungen, die auf selbstverwaltung abzielen, seyn wird
und weil man ihn gegen Bach et Consorten benützen muss.“ Boček (Hg.), Z deníků moravs-
kého politika v eře Bachově 87.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien