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Tagebücher304
interessen, namentlich z.B. der hypothekenbanken, welche nach und nach
die brennendste tagesfrage werden, da die nichtsnutzigkeit der von Bruck
geschaffenen hypothekenabtheilung der nationalbank sich immer deutli-
cher zeigt. Auch die drückende last der auf dem grundbesitze haftenden
steuern wird jetzt, bey den gesunkenen körnerpreisen, zum ersten mahle
recht fühlbar, und die unzufriedenheit steigt daher ebenso wie das defizit
und die schlechte finanzwirthschaft, für alle diese dinge aber hat Bruck
keinen sinn und kein interesse, er ist ein leichtsinniger jongleur, und nicht
eine spur von einem staatsmann.
Auch die sonstigen hoffnungen, welche man sich für die rückkehr des
kaisers machte, verschwinden, weder die landesvertretungen, noch das
gewerbegesetz, noch irgend eine andere der erwarteten maßregeln werden
erscheinen, ja sie sind sogar sämmtlich wieder bey seite gelegt. kempen, von
dessen rücktritte und der Auflösung des Polizeyministeriums man sprach,
steht fester als je. Ja selbst in italien fangen die feindseligen demonstratio-
nen wieder an, und sollen diese u.a. in venedig bey gelegenheit der Ankunft
des neuen generalgouverneurs erzherzog ferdinand max sehr stark gewe-
sen seyn, der Bruch mit Piemont, welcher ziemlich unklug vom Zaune ge-
brochen, aus einer der bekannten launen des kaisers gegen Buol’s Ansicht
hervorgegangen ist, gießt dort natürlich öhl ins feuer.1 ein einziges beru-
higendes factum unter so vielen entgegengesetzter natur ist, dass der kai-
ser gestern erklärt hat, den ungarn bey gelegenheit seiner bevorstehenden
reise keine politischen concessionen machen zu wollen. Bey der kopf- und
systemlosigkeit und dem mangel an einsicht, die bey uns in großen wie in
kleinen dingen herrscht, hatte ich es gar nicht für unmöglich gehalten, daß
man den ungarn in ihrem hauptgrief: der theilung des landes in 5 ver-
waltungsbezirke, nachgeben und diese aufheben würde. hatte man, wenn
auch nur einen Augenblick, im ernste daran denken können (und hatte ein
erzherzog diese forderung stellen können!), südtyrol und das küstenland
zu italien zu schlagen, so wäre auch jene kolossale dummheit nicht unmög-
lich gewesen, um so mehr als erzherzog Albrecht, durch die ungarn bethört,
in seiner Beschränktheit ihren Bitten das Wort geredet hatte. das ist der
hauptübelstand unserer lage: man kann auf nichts mit Bestimmtheit zäh-
len. nichts ist so fest, so heilig, so evident, was nicht über nacht umgestoßen
werden kann, man hat Alles, was seit lange oder seit kurzem bestand, nie-
1 nachdem die Antwort turins auf einen scharfen diplomatischen Protest gegen die anti-ös-
terreichischen vorgänge in sardinien-Piemont (unterstützung von umsturzbestrebungen,
Propaganda, errichtung von denkmälern etc.) für die Wiener regierung unzureichend aus-
fiel, brach Österreich die diplomatischen Beziehungen ab. Am 28.3.1857 reiste Geschäfts-
träger graf ludwig Paar aus turin ab, ohne eine Abschiedsaudienz beim könig zu nehmen.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien