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Tagebücher324
Jassy und Bukarest seyn! selbst auf die meritorische lösung der unions-
frage und noch manchen Anderen wird dieses von einfluß seyn, denn na-
mentlich im oriente gilt das sprichwort: wer den finger hergibt, der verliert
die ganze hand. das wäre im nothfalle selbst einen krieg werth. Auch un-
sere englische Allianz sehe ich in folge dieses unglückseligen ereignisses
wenigstens theilweise in die Brüche gehen. dieses sind die folgen der hal-
ben Politik, welche wir seit einigen Jahren treiben.
kolb, orges und ihre freunde in Paris: laboulaye, tocqueville etc. hal-
ten die lage der dinge in frankreich für kritischer als je, die finanziellen
Zustände für so zerrüttet, daß einer Banqueroute kaum auszuweichen sey,
und den mißmuth der ganzen Pariserbevölkerung für groß, die materiellen
Zustände verschlimmern sich sehr durch hohe steuern, theuerung, Woh-
nungsmangel etc. noch halte die Armée den kaiser, aber auch da sey schon
ein starker umschwung bemerklich, namentlich der Zwiespalt zwischen
garde und linie immer bedenklicher.
trouville 23. August
meine beabsichtigten Ausflüge in der schweiz wurden durch das regenwet-
ter vereitelt, welches heute vor acht tagen ganz unerwartet in Zürch ein-
trat. ich beschäftigte mich daher an jenen tagen damit, merkwürdigkeiten
anzusehen, eine Bibel Zwingli’s, einige Briefe von Johanna grey1 auf der
Bibliothek etc. nachmittags 5 uhr fuhr ich per eisenbahn nach st. gallen,
übernachtete dort, und am nächsten tage über rorschach nach lindau zu-
rück. unterwegs traf ich ow, den würtembergischen gesandten, der eben in
rom das concordat abgeschlossen hat.2
Am selben nachmittag, den 17., verließ ich lindau, fuhr während eines
furchtbaren gewitters über den see nach friedrichshafen und noch am sel-
ben Abende bis ulm, tags darauf nach mannheim und am 19. von da über
forbach nach Paris, wo ich spät Abends ankam und im hôtel douvres ab-
stieg.
Während der zwey tage (den 20. und 21.) meines Aufenthaltes in Paris
sah ich beynahe gar niemanden meiner Bekannten, die stadt war heiß,
1 die Protestantin lady Jane grey, von 9.–19. Juli 1553 englische königin und nach der
machtübernahme durch die rechtmäßige thronerbin, die katholikin mary tudor (mary i.),
tochter von heinrich viii., am 12.2.1554 hingerichtet.
2 das konkordat wurde am 8.4.1857 unterzeichnet, württembergischer chefunterhändler
war frh. Adolf v. ow-Wachendorf, gesandter in Wien. es wurde als königliche verordnung
verkündet, wobei lediglich jene Punkte, die eine gesetzesänderung erforderten (v.a. das
eherecht der katholiken), der Zustimmung des landtags vorbehalten blieben. das darauf
erst 1861 dem landtag vorgelegte konkordat wurde am 16. märz abgelehnt, worauf das
verhältnis zur katholischen kirche 1862 durch ein landesgesetz neu geregelt wurde.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien