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September 1857
stige Bekannte, die ich öfters sehe, sind meysenbug (der badische minister),
schweitzer, frau v. Pacher, geborene list, und ihre schwester, die ingel-
heims etc. Auch die Prinzessinn Amélie von Augustenburg ist hier. ich ge-
denke, bis 6. oder 7. hier zu bleiben und die letzten seebäder (deren ich 20
nehmen will) in dieppe oder Boulogne zu nehmen.
gestern war ich mit Waldstein und horváth in honfleur, eine reizende
Aussicht und eine ebenso reizende fahrt sowohl hin als über das châlet
(eine Besitzung eines herrn duttinger aus Paris) zurück. es kann in der
schweiz und in england nichts schöneres, üppigeres geben. dessenunge-
achtet sieht man es dem lande auch hier an (in den anderen theilen frank-
reichs, die ich gesehen habe, natürlich noch mehr), daß hier niemand auf
dem lande lebt, der nicht dazu gezwungen ist, und dieses nur à contrecœur
thut. Aller schmuck, aller comfort, alle Ausstattung werden auf Paris ver-
schwendet. Wie anders als bey uns oder gar in england, wie anders über-
haupt in vielen, ja in fast allen stücken, nirgends fühlt man sich in seiner
persönlichen freyheit mehr beengt als in frankreich, es gibt hier nichts, das
erlaubt wäre. Alles ist entweder befohlen oder verbothen.
[trouville] 5. september
seit gestern bin ich in diesem hause ganz allein zurück geblieben, die
Batthyánys, Waldstein, horváth etc. sind gestern nachmittags nach Paris
abgereist. Julie hatte vor ein paar tagen einen sehr heftigen Anfall ihrer
hysterischen krämpfe, in folge welcher sie ihre Bäder suspendiren mußte
und Arthur sie endlich dazu vermochte, dieselben ganz aufzugeben. mir thut
diese ruhe und einsamkeit ordentlich wohl. Auch das stürmische Wetter,
welches durch einige tage herrschte und zu allgemeiner langweile beytrug,
hat seit gestern aufgehört und der schönsten herbstsonne Platz gemacht.
dessenungeachtet gehe ich morgen mittags, nachdem ich mein 15. Bad
genommen haben werde, fort, und zwar über havre, rouen und dieppe nach
Boulogne, wo gabrielle neuwall ist, bey der ich mich auf dienstag den 8.
angekündigt habe. sie reist am 10. nach Paris ab, da sie ihre Bäder beendet
hat, ich denke, noch ein paar tage länger in Boulogne zu bleiben, um meine
20 Bäder voll zu machen, und ihr dann nachzufolgen, einige tage mit ihr in
Paris zuzubringen, und dann vielleicht über holland heimzukehren und in
den ersten tagen october in Wien zu seyn.
der triumph frankreichs in der frage der fürstenthümer scheint denn
doch kein so vollständiger gewesen zu seyn, und mehr den schein, die
form als die Wesenheit betroffen zu haben, in welcher letzteren es viel-
mehr vollkommen nachgegeben zu haben scheint.1 die Wahlen wurden
1 vgl. dazu einträge v. 15. und 23.8.1857.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien