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Tagebücher330
hier stehen die dinge flau, und wenn auch vor der hand nichts zu be-
fürchten ist, so sinkt das system doch allmälig in sich selbst zusammen, und
ein Ausgang, ein übergang, eine transaction ist diesem kaiser nicht mög-
lich. es herrscht eben jetzt eine wahre panique an der Börse, der credit mo-
bilier scheint zusammenbrechen zu wollen, die Administratoren geben einer
nach dem anderen ihre entlassung, jetzt sogar Pereire, welcher aber so eben
vom kaiser nach châlons berufen worden ist, wo man ihn wahrscheinlich
überreden wird zu bleiben. die herren der lombardischen gesellschaft tala-
bot, la rozière, Blount etc. habe ich gesehen, sie sind trotz Allem recht guter
dinge und scheinen ganz entschlossen, die triesterbahn zu kaufen, im laufe
des nächsten monathes dürften sie deßhalb nach Wien kommen. Auch die
Westbahn interessirt die leute sehr. vonderPfordten sagte mir in trouville
mit bayerischer emphase: Wenn sie Bayern preußisch machen wollen, so
geben sie den Passauer flügel auf.
ich denke, morgen Abends oder übermorgen abzureisen und in circa
14 tagen in Wien zu seyn. Welchen Weg ich nehme, ist bisher noch unbe-
stimmt. ist doblhoff im haag, was ich binnen heute und morgen mit Be-
stimmtheit zu erfahren hoffe, so will ich ihn besuchen, um bey dieser ge-
legenheit wieder einmal holland zu bereisen, was mir von interesse wäre,
sonst gehe ich über strasburg, halte mich ein paar tage in Baden Baden auf
und gehe dann auf eine Woche zu eduard [Andrian] nach Ansbach.
die gemäldeaustellung, welche ich gestern durch besondere Begünsti-
gung (sie war nämlich bereits geschlossen) sah, enthält einiges gute unter
massen von schlechtem und mittelmäßigem.1
der kaiser hat nach Beendigung seiner Bereisung von ungarn am 9. die-
ses monats ein handschreiben an den erzherzog Albrecht erlassen, worin er
seine freude über die fortschritte dieses landes seit 5 Jahren zu erkennen
gibt, diese dem vortrefflichen verwaltungsorganismus zuschreibt (!!) und
seinen entschluß ausspricht, an dem gegenwärtigen systeme festzuhalten.
da niemand mehr (weder bey uns, noch auswärts) an eine eigene einsicht
und überzeugung des kaisers glaubt, so wird diese ganz unnöthige decla-
ration de principes nur dazu dienen, namentlich in ungarn die erbitterung
zu vermehren und sie gegen die Person des kaisers zu richten. um solchen
Preis hat Bach allerdings einen momentanen sieg erfochten.
1 Auch der österreichische Botschafter frh. (seit 1888 graf) Josef Alexander v. hübner äu-
ßerte sich in seinen tagebüchern (19.8.1857) negativ über die Pariser Ausstellung: „trau-
riger Verfall. Talent, Gewandtheit und Kühnheit – ja; von Begeisterung, Eingebungen,
idealen, erhabenheit und Poesie keine spur.“ neun Jahre der erinnerungen eines ös-
terreichischen Botschafters in Paris unter dem zweiten kaiserreich 1851–1859. 2. Band
(Berlin 1904) 27.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien