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Tagebücher332
wird, je nach dem neuen fahrplane der regensburger dampfschiffe, wor-
über ich die näheren daten noch erwarte. meine Anstalten sind derart ge-
troffen, daß ich sonntag den 4., nicht früher aber auch nicht später, in Wien
einzutreffen gedenke. in linz will ich mir den oberingenieur der Westbahn
zum landungsplatze bestellen, um die dortigen Bauten in Augenschein zu
nehmen und überhaupt die Zeit meines Aufenthaltes möglichst zu utilisiren.
neulich brachten wir einen tag auf eduards neuerkauftem gute Wahrberg
2 meilen von hier zu, und gestern waren wir in der ungefähr ebensoweit ent-
fernten königlichen Ackerbauschule zu triesdorf.
Was ich aus Wien höre und in den Zeitungen lese, bekümmert mich sehr
und drängt mich nachhause, abgesehen von der finanziellen déroute scheint
eine Wendung in unserer auswärtigen Politik (dem einzigen, worauf man
bisher wenigstens mit einiger Befriedigung blicken konnte) zu drohen. der
kaiser ist nach Weimar gegangen, um den von der stuttgarter Zusammen-
kunft zurückkehrenden kaiser von rußland zu begrüßen, ein schritt, den
ich unter den obwaltenden verhältnissen für sehr unpassend halte, noch
würdeloser aber scheint mir der moment und der ort, welche dazu gewählt
wurden. in den donaufürstenthümern gewinnt die unionspolitik die ober-
hand, und ich fürchte schon, daß wir dort am ende den kürzeren ziehen,
wenigstens uns zu einem gefährlichen compromisse werden herbey lassen
müssen, was will unter diesen umständen der kaiser in Weimar? darüber
bin ich ungeduldig, näheres zu erfahren. dazu kömmt eine urlaubsreise
Buol’s und gerüchte über seinen nahen rücktritt, sollte die russische Partey
wieder die oberhand gewinnen? Worauf ich noch am meisten hoffe, das ist
die russische insolenz in Weimar, möge sie recht arg seyn.
Wien 28. october
ich verließ Ansbach am 2. dieses monats, ging jedoch des veränderten fahr-
planes der donaudampfschiffe wegen nicht über regensburg, sondern über
hof und leipzig, schlief am ersten tage in dresden, am 2. in Prag und kam
am 4. dieses monats Abends hier an.
hier erwarteten mich unangenehme geschichten, welche mich an mei-
ner empfindlichsten seite verletzten und in mir eine verstimmung hervor-
brachten, von welcher ich noch immer nicht ganz zurück gekommen bin. im
grunde war die sache nichts weiter als ein tratsch, welcher von Böswilligen
verbreitet und auf das gehässigste entstellt worden war und sich darauf ba-
sirte, daß ich mir die reiseauslagen nach triest im verflossenen July, welche
ich im nahmen und im Auftrage der italienischen eisenbahngesellschaft ge-
macht hatte, mir wie bey jeder anderen dienstreise üblich von dieser hatte
ersetzen lassen, wozu ich nach meiner überzeugung das volle recht hatte.
es hatten sich sogar einige erlaubt zu verbreiten, ich hätte diese Auslagen
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien