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33912.
Jänner 1858
[Wien] 12. Jänner 1858
noch immer kein schnee. dagegen heitere kalte tage von 5 bis 10° r. unter
null. niemand erinnert sich eines so trockenen Winters, besonders nach ei-
nem so trockenen sommer, ich befinde mich übrigens recht wohl dabey, doch
hatte ich während der warmen neblichten tage in der 2. hälfte des decem-
bers wieder einigemahle meine Anfälle von schwindel, welche mich immer
ganz herabstimmen, schon deßwegen, weil sie mich hindern, mich mit irgend
etwas anhaltend zu beschäftigen.
Am 5. ist radetzky gestorben. sein Andenken wird beyspiellos, aber nicht
über verdienst, denn das wäre kaum möglich, geehrt.1 Am 19. oder 20. soll
hier sein feyerliches leichenbegängniß stattfinden, worauf er nach Wetzdorf
gebracht werden wird.2 es gefällt mir, daß der kaiser so rückhaltslos in die
allgemeine trauer einstimmt, das hatte ich von ihm nicht erwartet und ist
nicht habsburgisch. ich würde es für angemessen halten, daß eine national-
subscription eingeleitet würde, um ihm ein denkmal zu setzen. nicht nur
die Armee, das ganze land müßte sich daran betheiligen, denn radetzky
war nicht bloß feldherr, in seinem lager war oesterreich, wie grillparzer
im Jahre 1848 sang.3 ich wollte darüber gleich, als die nachricht seines to-
des eintraf, mit hess sprechen, welcher der mann wäre, sich an die spitze
eines solchen comités zu stellen, so ungern ich auch in einer solchen sache
die initiative ergreifen würde, da es bey meiner persönlichen stellung und
der hier herrschenden stupidität vielleicht leute geben würde, die ein sol-
ches hervortreten von meiner seite als eine flagornerie auslegen würden,
ich entschloß mich daher, einige Zeit zu warten, ob nicht Jemand Anderer
diesen einfachen gedanken fassen würde. kömmt hess aus mailand zurück,
1 „er war mehr als ein bloßer feldherr, er war eine fahne, ein symbol für das ganze land.“
(Andrian an seine Schwester Gabriele, 17.1.1858; K. 114, Umschlag 662).
2 feldmarschall graf radetzky wurde am heldenberg beigesetzt, der vom industriellen und
Armeelieferanten Josef Pargfrieder als denkmal für die österreichische Armee im Park
seines schlosses klein-Wetzdorf bei stockerau (niederösterreich) angelegt worden war. die
testamentarische verfügung radetzkys zur Beerdigung in Wetzdorf erreichte Pargfrieder
u.a. durch die übernahme von dessen schulden. Pargfrieder schenkte darauf den helden-
berg dem kaiser und wurde dafür am18.1.1858, dem tag von radetzkys Begräbnis, in den
ritterstand erhoben. „solange wir keine Walhalla oder Westminster Abbey oder so etwas
haben, ist es besser und würdiger, radetzky ruhe in Wetzdorf als auf dem matzleinsdorfer
friedhofe. das gescheidteste aber wäre, würde am ende doch geschehen, die regierung
kaufte Wetzdorf und ließe es in einem grandiosen style umbauen, in 20 Jahren wird die-
ses geschehen, denn was ich sage, geschieht immer nach 20 Jahren.“ (Andrian an seine
Schwester Gabriele, 17.1.1858; K. 114, Umschlag 662).
3 die Zeile „in deinem lager ist österreich“ aus franz grillparzers gedicht „feldmarschall
Radetzky“ (Juni 1848) wurde zum geflügelten Wort. Die erste Strophe lautet: Glück auf,
mein feldherr, führe den streich! / nicht bloß um des ruhmes schimmer, / in deinem la-
ger ist österreich, / Wir andern sind einzelne trümmer.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien