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hinaus bot die populäre Unterhaltung mit ihrer Forderung nach immer Neuem
ausländischen MusikerInnen die Möglichkeit, kulturelle Stereotype als ‚exotisch‘
zu vermarkten. Besonders vermeintlich volkstümliches Musizieren – ob von Tiro-
ler AlpenmusikerInnen oder amerikanischen ‚Ureinwohnern‘
– konnte in gänzlich
anderen kulturellen Kontexten Erfolge erzielen.42
Die massenhafte Vermarktung von Musik und immer weitere Reisen von pro-
fessionellen MusikerInnen über staatliche Grenzen hinweg bedeuteten nicht nur
verstärkte Mobilität, sondern auch eine Verdrängung bestimmter anderer Formen
von musikalischer Mobilität. Das Wandermusikantentum hatte über Jahrhunderte
hinweg darauf beruht, dass vor allem auf dem Land an vielen Orten Musik und
Musiker nicht verfügbar waren. WandermusikantInnen oder wandernde Spielleute
zogen meist innerhalb eines nicht allzu großen Gebiets von Ort zu Ort und traten
dort für jeweils einige Tage oder Wochen auf. So waren etwa in der Oberpfalz in
den zwei Jahrzehnten vor 1800 mehr als 2.000 Menschen als wandernde Musikan-
ten tätig, wobei der Großteil von ihnen in einem Umkreis von 15 – 20 km auftrat.43
Aufgrund einer Reihe von Faktoren war aber das Wandermusikantentum in den
ersten Jahrzehnten des 20.
Jahrhunderts in weiten Teilen West- und Mitteleuropas
stark im Rückgang begriffen. Neben der zunehmenden Bekämpfung bestimmter
mobiler Gruppen durch staatliche Behörden und der Konkurrenz durch die im
19.
Jahrhundert gegründeten Dorfmusiken war ein wichtiger Faktor die zunehmende
Verfügbarkeit von Musik auch in abgelegeneren Gebieten.44 Mithilfe stark verbes-
serter Transportmöglichkeiten konnten etwa Berufsorchester ausgedehnte Tourneen
auch außerhalb von Großstädten unternehmen. Gleichzeitig wurde professionell
produzierte und massenhaft verbreitete Kunst- und Unterhaltungsmusik mittels
Grammophon und Radio nun auch in Orten zugänglich, die zuvor auf wandernde
Musikanten angewiesen waren.
Den hier beschriebenen Tendenzen der Internationalisierung von Musik und
MusikerInnen standen Entwicklungen entgegen, die verstärkt nationale Musikmärkte
und Repertoires propagierten. Als „transnationales Phänomen der Nationalisierung“
bezeichnet Sven Müller die Versuche der Nationalstaaten im 19.
Jahrhundert, jeweils
eigenständige nationale Musikwerke und Aufführungspraktiken zu produzieren.45
So wurde etwa in Operninszenierungen verstärkt auf nationalhistorische Ereig-
nisse Bezug genommen oder in musikästhetischen Schriften durch Kategorisie-
rungen entlang nationaler oder völkischer Trennlinien die besondere Musikalität
42 Salmen, Beruf, 219 f.
43 Hartinger, Volkstanz, 23 f.
44 Heimrath, Wandermusikanten, 148 f.
45 Müller, Einleitung, 24 f. Entwicklungen vor 1918 29
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Über die Produktion von Tönen
Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Title
- Über die Produktion von Tönen
- Subtitle
- Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Author
- Georg Schinko
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20802-0
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Music-making, Musician, Work, Vocation, Art, Austria, Correspondence analysis, Life Writing, Interwar period --- Musizieren, Musiker, Arbeit, Beruf, Kunst, Österreich, Korrespondenzanalyse, Lebensgeschichtliche Erzählung, Zwischenkriegszeit
- Category
- Kunst und Kultur