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Gesamtbevölkerung die Anzahl der Musizierenden in den jeweiligen Organisatio-
nen (Reichsmusikkammer und Musikerring) in Österreich 1935 um einiges höher
war als im nationalsozialistischen Deutschland.77
Nicht alle Musizierenden wurden in dem oben skizzierten Konflikt als Berufs-
oder NichtberufsmusikerInnen kategorisiert. Manche Formen des Musizierens
schienen sowohl Vertretern der Berufs- als auch der NichtberufsmusikerInnen zu
fremd oder bedeutungslos zu sein, um sich mit ihnen zu befassen. So findet sich etwa
in der Jahrzehnte dauernden Debatte kein Verweis auf die Rolle von Straßen- und
BettelmusikantInnen.78 Während BerufsmusikerInnen in ‚ehrenwerten‘ Arbeitsver-
hältnissen tätig waren bzw. sein sollten
– was Straßenmusizieren wohl ausschloss
–,
waren ihre Gegner in diesem Konflikt vor allem Vereins- und Nebenerwerbsmusik-
erInnen. Allerdings nahmen auch jene, die in diesem Konflikt nicht vertreten wurden,
teilweise auf das Schema Beruf Bezug.79
Die Konkurrenz zwischen Berufs- und NichtberufsmusikerInnen um knappe
Verdienste war eines der zentralen Themen des Konfliktes. Vertreter der Berufs-
musikerInnen beklagten die „Schmutzkonkurrenz“ der DilettantInnen, die
– bereits
durch andere Unterhalte finanziell abgesichert
– die Preise der BerufsmusikerInnen
unterbieten würden:
[…] dass die durch den Mangel zusammenfassender zeitgerechter gesetzlicher Bestim-
mungen entstehende Freizügigkeit Dilettanten und Pfuschern schlimmster Art Tür und
Tor öffnet, dass in Österreich Hunderte von Vereinskapellen dem studierten Berufsmusi-
ker […] Existenz und Brot wegnehmen.80
Bundesministerium für Unterricht, Musikwesen
– Kapellmeister, 1935, Zl.
13.640, Eine öster-
reichische Musikkammer (Vorschlag der Kapellmeisterunion Österreichs), 1 ff.).
77 Während der Musikerring 1935 über 15.000 Mitglieder hatte (Österreichisches Staatsarchiv,
AVA, Bundesministerium für Unterricht, Musik in genere, 1935, Zl. 35.074, Ring der aus-
übenden Musiker Österreichs/Gewerkschaftsbund der österreichischen Arbeiter und Ange-
stellten/Gewerkschaft der Musiker, Vorschläge für den Wiederaufbau des österreichischen
Theater- und Musiklebens durch Schaffung eines gerechten Ausgleiches zwischen den Inte-
ressen der lebenden und mechanischen Musik, 18), waren es in der Reichsmusikkammer zu
diesem Zeitpunkt knapp 90.000 (Schepers, Tanz- und Unterhaltungsmusiker, 44).
78 Siehe Kapitel 2.3.2.
79 Sonntagsbeilage der Wiener Zeitung vom 6. Februar 1938, 2: „heut‘ sind’s nur mehr a paar
[Häuser, G. S.], wo ich meinen Beruf als Hofmusiker ausüben kann“; Neues Wiener Tagblatt
vom 16.
Februar 1913, 10: „und ich hab‘ so wenig verdient, daß ich mich um einen andern Beruf
hab‘ umseh’n müssen […] Also, ich bin als Gehilfe zu einem Harmonikaspieler gegangen.“
80 Österreichisches Staatsarchiv, AVA, Bundesministerium für Unterricht, Musik in genere,
1933, Zl. 16.047, Österreichischer Musikverband, Schreiben an das Bundeskanzleramt,
25. Mai 1935, 3.
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Über die Produktion von Tönen
Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Title
- Über die Produktion von Tönen
- Subtitle
- Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Author
- Georg Schinko
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20802-0
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Music-making, Musician, Work, Vocation, Art, Austria, Correspondence analysis, Life Writing, Interwar period --- Musizieren, Musiker, Arbeit, Beruf, Kunst, Österreich, Korrespondenzanalyse, Lebensgeschichtliche Erzählung, Zwischenkriegszeit
- Category
- Kunst und Kultur