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Über die Produktion von Tönen - Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
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Die Gleichsetzung von Musizieren mit Bettelei und Nicht- Arbeit war aber nicht nur die Perspektive mancher Verwaltungsbehörden auf AntragsstellerInnen. Auch in zeitgenössischen Wiener Zeitungsberichten über StraßenmusikantInnen waren Klagen über das Musizieren  – also die Nicht- Arbeit  – eigentlich arbeitsfähiger junger Menschen häufig.105 In den Berichten über verschiedene Formen des Musi- zierens wurde fast immer entlang der Kategorien des/der ‚guten‘ arbeitsunfähigen und daher auch lizenzierten Musizierenden und des/der ‚schlechten‘ arbeitsscheuen und „schwarzspielenden“ Musizierenden unterschieden.106 Während der/die ‚gute‘ Musizierende traditionsgemäß durch den Wiener Werkelmann oder den/die Volks- sängerIn verkörpert wurde, stellten Jazzkapellen oder andere Darbietungsformen moderner Musik den anderen Musiziertypus dar. Der Erwerb des Straßenmusizie- rens mochte also als redlich oder als unredlich betrachtet werden, Arbeit war er aus dieser Perspektive in keinem Fall, wie schon die Annahme zeigt, dass er entweder durch „Arbeitsscheue“ oder „Arbeitsunfähige“ ausgeübt wurde. Unklar bleibt, ob es die angenommene fehlende Anstrengung des Straßenmusizierens oder der fehlende Gegenwert 107 für PassantInnen war, der es zur Nicht- Arbeit machte. Dass in Bezug auf manche Musizierformen Nicht- Arbeit breit thematisiert wurde, zeigt auch ein Urteil des Obersten Gerichtshofes von 1921, das hier etwas ausführ- licher beschrieben werden soll. Zwei in Eisenbahnzügen musizierende Männer wur- den wegen Bettelns nach §2 des Gesetzes über die Zulässigkeit der Anhaltung in Zwangsarbeits- oder Besserungsanstalten 108 angeklagt. Nachdem das Erstgericht die Angeklagten freigesprochen hatte, erkannte das Berufungsgericht die Angeklagten 105 „Eine besondere Art der Bettelei stellt auch das Musizieren dar  […] Ganze Gruppen bis zu zehn und mehr Personen finden sich zu Jazzkapellen zusammen und geben ‚Platzkon- zerte‘.  […] Ihnen allen soll in der nächsten Zeit  […] an den Leib gerückt werden. Polizei und Fürsorgetätigkeit wollen mit dem Wiener Bettlerunwesen aufräumen.“ (Neue Freie Presse vom 3.  April 1937, 1). 106 Exemplarisch etwa folgende Passage: „Auch die Bettelmusikanten  […] führen Beschwerde, daß ihnen von arbeitsscheuen Individuen das Almosen weggeschnappt werde  […] Ein eigen- artiger Fall: in der Musikstadt Wien, der Stadt der Lieder, müssen ein paar arme Teufel fragen, unter welchen Bedingungen sie in bescheidener Weise Musik machen dürfen.“ (Illustriertes Wiener Extrablatt (1925), 1.  Mai, 6). 107 Vgl. auch Oesterreichische Musiker- Zeitung (1920), Nr.  4, 56: „Von allen Arbeitnehmergrup- pen  […] sind die  […] Musiker am schlechtesten daran. Beweis: Weil man ihren Beruf  – von klassischer und Theatermusik abgesehen  –  […] als etwas Überflüssiges, Entbehrliches bezeich- net  […] Das ist nämlich der Standpunkt jener Leute, die es einem Musiker  […] nicht verzeihen können, dass er in seinem Beruf so unproduktiv ist, also nur wertlose Musik  […] macht.“ 108 Gesetz vom 24.  Mai 1885, BGBl Nr.  89, womit strafrechtliche Bestimmungen in Betreff der Zulässigkeit der Anhaltung in Zwangsarbeits- oder Besserungsanstalten getroffen werden, §2. Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO. KG, WIEN KÖLN WEIMAR Differenzierungen von Musizieren44
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Über die Produktion von Tönen Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
Title
Über die Produktion von Tönen
Subtitle
Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
Author
Georg Schinko
Location
Wien
Date
2019
Language
German
License
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-20802-0
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
310
Keywords
Music-making, Musician, Work, Vocation, Art, Austria, Correspondence analysis, Life Writing, Interwar period --- Musizieren, Musiker, Arbeit, Beruf, Kunst, Österreich, Korrespondenzanalyse, Lebensgeschichtliche Erzählung, Zwischenkriegszeit
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