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5. MUSIZIEREN ALS HOHE KUNST
Die erste Dimension des Systematischen Vergleichs
Der systematische Vergleich lebensgeschichtlicher Erzählungen ergab eine Viel-
zahl an Dimensionen des Musizierens der Zwischenkriegszeit. Die erste und daher
wichtigste Dimension beschreibt unterschiedliche Arten, sich auf Musizieren als
hohe Kunst zu beziehen.1 In ihr werden die Erzählungen und ihre Praktiken im Hin-
blick darauf, in welcher Beziehung sie zu Musizieren als Kunst stehen, positioniert.
Praktiken des Erzählens mussten sich auf die legitimste Referenz, d. h. Musizieren
als Kunst, beziehen, sei es durch explizite Verneinung, sei es durch die Entlehnung
von Praktiken, die sich positiv auf Kunst bezogen. In den sich stark positiv auf Kunst
beziehenden Erzählungen war Musizieren Kunst, weil es als Kunst, d. h. nach den
Regeln der Kunst, praktiziert wurde. So, wie sich die Erzählpraktiken auf die Kunst
bezogen, trugen sie umgekehrt durch diese Bezugnahmen zur Reproduktion und
gegebenenfalls zur Veränderung dessen, was Kunst darstellte, bei. Vor allem Erzäh-
lende, die bereits (durch ihr Auftreten an bestimmten Orten, ihre Ausbildung etc.)
als KünstlerIn legitimiert erschienen, hatten die Möglichkeit, ihr Erzählen als jenes
durchzusetzen, das für wahres Künstlertum stand.
Es wäre allerdings unmöglich, eindeutig zu sagen, was Kunst und künstlerisches
Handeln in Bezug auf Musizieren in der Zwischenkriegszeit bedeutete. Nicht nur
das bis dato eher geringe Forschungsinteresse an dieser Frage (siehe Exkurs weiter
unten), sondern auch die Vielfalt der an den Konflikten und Definitionen beteiligten
Akteure mit ihren jeweils eigenen Strategien und Perspektiven steht einer derartigen
Definition entgegen. Kunst war im Untersuchungszeitraum bereits stark normali-
siert (d. h. als „gängig“ und „normal“ konnotiert), sodass man Bezugnahmen darauf
in den unterschiedlichsten Perspektiven und von den unterschiedlichsten Akteuren
findet. Damit stellte Kunst eine wichtige Institution dar, auf die man sich
– u. a. im
Bereich des Muszierens – beziehen konnte. In mancher dieser Perspektiven schien
die Frage, was Kunst war, völlig klar zu sein. Betrachtet man etwa zeitgenössische
Musikzeitschriften, die sich mit jenem Teil von Musik beschäftigten, den sie als
Kunst bezeichneten, dann findet man Bezugnahmen auf die Begriffe „Kunst“ und
1 Die Bezeichnung als hohe Kunst soll verdeutlichen, dass bezüglich meines Untersuchungs-
gegenstandes auch andere Arten von Kunst als die hohe existierten, wie etwa die Volkskunst
(siehe dazu z. B. die Zeitschriften „Alpenländische Musikerzeitung“ bzw. „Der österreichische
Land- und Volksmusiker“). Infolge wird aus Gründen der Lesbarkeit die hohe Kunst verkürzt
als Kunst bezeichnet.
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Über die Produktion von Tönen
Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Title
- Über die Produktion von Tönen
- Subtitle
- Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Author
- Georg Schinko
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20802-0
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Music-making, Musician, Work, Vocation, Art, Austria, Correspondence analysis, Life Writing, Interwar period --- Musizieren, Musiker, Arbeit, Beruf, Kunst, Österreich, Korrespondenzanalyse, Lebensgeschichtliche Erzählung, Zwischenkriegszeit
- Category
- Kunst und Kultur