Page - 100 - in Über die Produktion von Tönen - Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
Image of the Page - 100 -
Text of the Page - 100 -
von MusikerInnen anzuzeigen, sondern auch, um jene, die sich die Musik zum
Beruf gemacht hatten, von den anderen abzugrenzen. All diese Kontraste zwischen
Kunst und dem, was gerade nicht oder nicht mehr Kunst war, waren Teil der Aus-
einandersetzungen um Kunst.
Kunst in der sozial- und musikwissenschaftlichen Literatur
In Soziologie und Sozialgeschichte hat sich längst die Perspektive durchgesetzt, dass
die Kategorisierung von Objekten und Tätigkeiten als Kunst das Ergebnis sozialer
Aushandlungen bzw. Strukturen ist.20 Gleichzeitig existieren bereits verschiedene
Untersuchungen, die sich mit der historischen Herausbildung des Künstler- und
Kunstbegriffes beschäftigen.21 Was der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Kunst
als sozialem und historischem Phänomen jedoch bislang gemein ist, ist die weitge-
hende Vernachlässigung der Relationen zwischen den als Kunst bezeichneten und
den von Kunst weit entfernten Tätigkeiten. Im Blickpunkt stehen meist sowohl
Tätigkeiten, die eindeutig der Kunst zugeordnet werden, als auch jene, die gerade
nicht mehr Kunst sind (z. B. die Avantgarde). Bei Pierre Bourdieu etwa wird durch
die Annahme eines eigenen Feldes der Kunst (bzw. weiter gefasst eines intellektuellen
Feldes) bereits der Bereich der Untersuchung abgesteckt.22 Im Sinne des relationalen
Denkens scheint es aber sinnvoll, nicht nur Differenzierungen und Konflikte inner-
halb dessen, was als Kunst kategorisiert wird, sondern auch die Differenzen zwischen
künstlerischen Tätigkeiten und ganz anders kategorisierten Tätigkeiten (wie etwa
der Volks- oder Unterhaltungsmusik) in den Blick zu nehmen. Der Stellenwert
und der ‚Charakter‘ von Kunst in einem historischen Zeitraum hängt auch immer
davon ab, was eindeutig nicht Kunst war und wogegen sich Kunst abgrenzen musste.
In den oben angesprochenen Untersuchungen wurden vor allem die bildenden
Künste
– und hier vor allem die Malerei
– als stellvertretend für Kunst an sich in den
20 Für einen kurzen Überblick der Entwicklung des soziologischen Denkens über Kunst vgl.
etwa Zahner, Regeln, 39 – 55.
21 Vgl. etwa Bourdieu, Genese, 291 ff.; Ruppert, Künstler; McClelland, Prophets; Zembylas, Kunst.
22 „Was sich im Feld ereignet, geht eine immer engere Verbindung mit der besonderen Geschichte
des Feldes (und nur mit ihr) ein und ist zunehmend schwieriger vom Zustand der sozialen
Welt in einem gegebenen Augenblick abzuleiten“ (Bourdieu, Genese, 306). Einer derartig
strikten Abgrenzung von Feldern nach außen wäre entgegenzuhalten, dass damit
– entgegen
den Intentionen Bourdieus – bestimmte historische Auffassungen dessen, was Kunst und
KünstlerInnen waren, gegenüber anderen privilegiert werden und das Verhältnis der Felder
untereinander (um in Bourdieus Logik zu bleiben) aus dem Blickfeld gerät (Mejstrik, Kunst-
markt, 128 f).
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO. KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Musizieren als hohe
Kunst100
back to the
book Über die Produktion von Tönen - Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938"
Über die Produktion von Tönen
Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Title
- Über die Produktion von Tönen
- Subtitle
- Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Author
- Georg Schinko
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20802-0
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Music-making, Musician, Work, Vocation, Art, Austria, Correspondence analysis, Life Writing, Interwar period --- Musizieren, Musiker, Arbeit, Beruf, Kunst, Österreich, Korrespondenzanalyse, Lebensgeschichtliche Erzählung, Zwischenkriegszeit
- Category
- Kunst und Kultur