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normalisiert, dass eine ganze Personengruppe – die MusikkritikerInnen – sich die
Beurteilung des Musizierens zum Erwerb gemacht hatte. Diese Normalisierung traf
auch auf die Vermittlung von Auftritten durch AgentInnen/Agenturen zu. Anstelle
der Vermittlung durch persönliche Kontakte oder die Tätigkeit in Einrichtungen
wie Vereinen traten Personen, die die Organisation von Auftritten nicht mehr nur
als Nebenprodukt anderer Tätigkeiten verstanden, sondern zur Hauptsache ihrer
Tätigkeiten machten. Umgekehrt zeigte das Aufsuchen von AgentInnen durch
den Musizierenden/die Musizierende die Ernsthaftigkeit seines/ihres Vorhabens,
Musik zu machen. AgentInnen und Agenturen stellten also in den Erzählungen mit
positivem Kunstbezug Verweise auf die Professionalität des eigenen Musizierens
dar. Die Professionalisierung künstlerischen Musizierens – seine Ausübung durch
BerufsmusikerInnen ebenso wie die Etablierung von kommerziellen Künstlerver-
mittlungen und des Berufs des/der MusikkritikerIn – war eine relativ kurz zurück-
liegende Entwicklung, deren Anfangspunkt etwa der Beginn des 19. Jahrhunderts
war. Im starken Kontrast dazu standen Praktiken mit negativem Bezug auf Kunst.
In Erzählungen von NichtkünstlerInnen ‚passierte‘ die Vermittlung des Musizierens
einfach oder wurde gleich nicht erwähnt.
Auch das Musizieren in einer lokalen Einrichtung 84 war ein Kennzeichen des
Kunstbetriebs und unterschied sich vom Musizieren in Einrichtungen, die namenlos
blieben oder jedenfalls keine repräsentative Bedeutung für einen Ort oder eine Stadt
beanspruchen konnten. Wie eingangs erwähnt, handelt es sich bei den Erzählungen
mit positivem Kunstbezug vor allem um bereits anerkannte Kunst, die demgemäß
auch in als Kunst- Orten anerkannten Einrichtungen stattfand.85 Dabei handelte
es sich oftmals um Einrichtungen, die als repräsentativ für eine Stadt oder ein
Bundesland galten oder gelten wollten. Die zunehmende staatliche Förderung von
Kunstmusik schuf eine wachsende Anzahl dieser Einrichtungen bzw. verlieh bereits
bestehenden Einrichtungen neue Bedeutung. Vor allem die Räume, in denen musi-
kalische Kunst stattfand – Opernhaus, Konzertsaal oder das Theater – standen im
Mittelpunkt dieser Kunstförderung.
Dass der Kunstcharakter von Musik nicht nur von der Musik selbst abhängt,
sondern auch von dem Ort, an dem sie stattfindet, ist nicht nur eine Erkenntnis
der Kunstsoziologie, sondern kam auch in zeitgenössischen Formulierungen zum
84 D. h. in einer Einrichtung, die in ihrem Namen einen geografischen Bezug herstellt, wie das
Stadttheater Breslau oder die Wiener Volksoper.
85 Wenn es auch für viele fraglich scheinen mag, ob etwa das Breslauer Stadttheater einen Kunst-
Ort darstellte, so muss die Bedeutung dieser Einrichtung in Beziehung gesetzt werden zu
Orten wie dem Café „Austria“, einem namenlosen Heurigen oder der bloßen Aussage „hatte
ich ein Engagement für ein ganzes Jahr in Graz“.
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Musizieren als hohe
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Über die Produktion von Tönen
Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Title
- Über die Produktion von Tönen
- Subtitle
- Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Author
- Georg Schinko
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20802-0
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Music-making, Musician, Work, Vocation, Art, Austria, Correspondence analysis, Life Writing, Interwar period --- Musizieren, Musiker, Arbeit, Beruf, Kunst, Österreich, Korrespondenzanalyse, Lebensgeschichtliche Erzählung, Zwischenkriegszeit
- Category
- Kunst und Kultur