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Ausdruck.86 Das Opernhaus stellte die höchste Konsekration des künstlerischen
Gesanges dar, der Konzertsaal jene des künstlerischen Musizierens.87 Das Theater
konnte dem Musizieren nicht den gleichen Anschein des Künstlerischen verleihen,
geriet dessen Verwendung zur Untermalung und Unterstützung des Schauspiels
doch in Konflikt mit dem Anspruch der absoluten Musik, welcher maßgeblich mit
dem Kunstcharakter von Musik verbunden war. Unter dem Anspruch der absoluten
Musik wird hier das musikästhetische Ideal einer Instrumentalmusik verstanden, die
ihren eigenen musikalischen Regeln folgt und von außermusikalischen Bindungen
(etwa an ein Theaterstück) frei ist.88 Immerhin herrschte aber im Untersuchungs-
zeitraum weitgehend Einigkeit darüber, dass die in Theatern tätigen Musizieren-
den zumindest ihren Fähigkeiten nach KünstlerInnen waren. Hingegen erzählten
die Musizierenden mit negativen Bezugnahmen auf Kunst von Auftritten in der
Kirche
– einem Ort, an dem künstlerisches Musizieren zwar prinzipiell möglich war,
der jedoch hauptsächlich von anderen Musizierenden wie Nebenerwerbsorganis-
tInnen oder Mitgliedern des lokalen Kirchenchors bespielt wurde. Ihr Musizieren
wurde nicht in einem breiteren Kreis (etwa durch die Erwähnung in Druckwerken)
rezipiert und nicht als Erfolg erzählt.
Zum Kunstbetrieb gehörte auch die Beschreibung des Publikums. Das Publikum
zeigte Interesse und verfügte über Musikverstand. Vor allem die Beurteilung des
Musikverstandes diente der Versicherung und Präsentation des eigenen Wissens um
die maßgeblichen Bewertungs- und Kategorisierungskriterien des Musizierens: Nur
wer diese nachvollziehen konnte, war befugt, andere – wie das Publikum – damit
zu beschreiben. Dies unterschied KünstlerInnen von anderen Musizierenden, die
ja über Musizieren teilweise überhaupt ohne Hierarchisierung von Fähigkeiten
und Können erzählten. Beschreibungen des Publikums wurden so zur Spiegelung
der Ansprüche an eigenes und fremdes Musizieren. Ebenso verlangte die Charak-
terisierung des Publikumsverhaltens als Alltagsflucht nach hinreichender Ausein-
andersetzung mit den Motiven und Kenntnissen desselben. Das Musizieren vor
vertrautem Publikum hingegen fand im Rahmen des – noch stark in der adeligen
Tradition der privaten KunstgönnerInnen verhafteten – Musizierens in (wohlha-
benden) Privathaushalten statt.
86 „Allein es kann wohl bezweifelt werden
[…] ob Musik in allen Formen der Ausübung Kunst
und nicht Handwerk sei. […] Es gibt gewiß Aufführungen, bei denen aus Zeit, Ort und
anderen Umständen zu erkennen ist, daß eine richtige Durchführung des Musikstückes weder
vom Dienstgeber noch vom Publikum ernstlich gefordert wird und nach den Fähigkeiten
der Beteiligten auch gar nicht gefordert werden kann.“ (Bundesministerium für Justiz (Hg.),
Sammlung. 8. Jahrgang, 264).
87 Vgl. Glogau, Konzertsaal, 11 – 16.
88 Vgl. Dahlhaus, Idee. Die Regeln des Kunstbetriebs einhalten 125
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Über die Produktion von Tönen
Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Title
- Über die Produktion von Tönen
- Subtitle
- Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Author
- Georg Schinko
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20802-0
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Music-making, Musician, Work, Vocation, Art, Austria, Correspondence analysis, Life Writing, Interwar period --- Musizieren, Musiker, Arbeit, Beruf, Kunst, Österreich, Korrespondenzanalyse, Lebensgeschichtliche Erzählung, Zwischenkriegszeit
- Category
- Kunst und Kultur