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22 Claudia Märtl
bringendem Gebet segne“ und umgekehrt die Völker ihn erblicken „und ihren Hirten von
Angesicht erkennen“ könnten.
3 Die Grundlegung des modernen Forschungsstandes: Gaetano Moroni (1853)
Estefans Argumentationsstrategie bildet die Basis für die drei Jahrhunderte später ent-
standenen Ausführungen Gaetano Moronis. Dieser differenzierte den Überblick zu den
päpstlichen Sitzgelegenheiten in seinem materialreichen Artikel über „den Sitz und die
Sitze der Päpste“31, blieb jedoch dabei ganz in den gedanklichen Bahnen seines Vorgän-
gers. Moroni unterscheidet einleitend zwischen der sella curulis antiker Amtsträger, Bi-
schofsstühlen aus Marmor, dem vom Papst mitgeführten Faldistorium sowie den bei der
Papsterhebung eine Rolle spielenden Porphyrsitzen im Lateran und befasst sich dann mit
der Verwendung tragbarer Sitze durch die Päpste im 18. und frühen 19. Jahrhundert. Zu
Moronis eigener Zeit bezeichnete der Ausdruck sella curulis jenen Sitz, den der Papst bei
Umzügen in seiner Karosse benutzte. Daneben verwendeten die Päpste bei schlechtem
Wetter für ihre Krönungsumzüge zum Lateran eine „überdachte sedia gestatoria“32, wäh-
rend die Päpste des 18. Jahrhunderts bei ihren Umzügen durch Rom eine offene sedia
gestatoria, beim Krönungsumzug zum Lateran aber eine durch zwei weiße Kaltblutrösser
getragene Pferdesänfte benutzt hätten. In den Krönungsumzügen sei am Übergang vom
15. zum 16. Jahrhundert eine sedia gestatoria mitgeführt worden, obwohl der Papst den
Weg zu Pferd zurücklegte; den Päpsten des 18. Jahrhunderts, die sich in der Pferdesänfte
zum Lateran begaben, sei ein solcher Tragethron vorangetragen worden. Die eigentliche
sedia pontificale gestatoria ist in der Darstellung Moronis von der Pferdesänfte und anderen
Transportmitteln klar zu unterscheiden.33 Der von zwölf sediari und palafrenieri getragene
Thron kommt seinen Angaben zufolge an Mariä Lichtmess, bei Heiligsprechungen, am
Palmsonntag und bei der Verleihung der Goldenen Rose zum Einsatz. Früher sei die sedia
gestatoria auch bei Papstmessen im Palast verwendet worden, aber wegen der größeren
Bequemlichkeit werde hier seit Langem eine normale portantina benutzt. Derartige Trag-
sessel seien im 18. Jahrhundert zudem außerhalb der feierlichen Anlässe, etwa während der
Sommerfrische in Castel Gandolfo, in Gebrauch gewesen, während sich ein kränklicher
Papst des 17. Jahrhunderts im Vatikanpalast in einem Rollstuhl34 bewegte.
31 Moroni 1853 (wie Anm. 7), S. 188–201.
32 Ebenda, S. 193.
33 Ebenda, S. 194–201. Den päpstlichen „Sänften“ widmete Moroni einen eigenen Artikel; Lectica.
In: ders., Dizionario di erudizione storico-ecclesiastica, Bd. 38 (Venezia 1846), S. 147–152.
34 Moroni 1853 (wie Anm. 7), S. 194 (Innozenz X., Dezember 1647).
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Title
- Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
- Subtitle
- Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Author
- Mario Döberl
- Editor
- Alejandro López Álvarez
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20966-9
- Size
- 17.5 x 24.7 cm
- Pages
- 432
- Categories
- Geschichte Vor 1918