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28 Claudia Märtl
lik päpstlichen Auftretens nahelegt. Bei Begegnungen zwischen Päpsten und Herrschern
standen das päpstliche Reittier und der dem weltlichen Part abverlangte Strator- oder
Marschalldienst im Fokus,52 der nach päpstlicher Auffassung in der Demutsgeste Kaiser
Konstantins gegenüber Papst Silvester, die in der Konstantinischen Schenkung berichtet
wird, sein Vorbild hatte. Die Bildquellen zeigen liegende, kniende, stehende, thronende
und ab dem Hochmittelalter bisweilen auch reitende Päpste,53 doch Päpste, die auf Sitzen
oder in Sänften getragen werden, kommen bis in das letzte Viertel des 15. Jahrhunderts
als Bildmotiv nicht vor. Die normativen Texte zu Liturgie und Zeremoniell schweigen bis
zum Jahr 1488 über die sedia gestatoria. Die differenzierte Organisation des päpstlichen
Hofs kennt bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts nur palafrenieri, die das Reittier des Paps-
tes zu satteln und am Zügel zu führen hatten, nicht jedoch sediarii.54
6 Die „Erfindung“ der sedia gestatoria durch Papst Pius II. (1458–1464)
Insgesamt sprechen die Schrift- und Bildquellen dafür, dass der päpstliche Tragethron im
symbolisch aufgeladenen Sinn erst durch Pius II. in das päpstliche Zeremoniell eingeführt
und dort von seinen Nachfolgern innerhalb eines Vierteljahrhunderts fest etabliert wurde.
Dass Pius II. die sedia gestatoria „erfand“, verdankt sich einer besonderen Konstellation, in
der das gesundheitliche Befinden des Papstes, Anforderungen des päpstlichen Zeremoniells
und Interessen politischer Repräsentation in Einklang gebracht werden mussten.55 Eneas
Silvius Piccolomini war bereits bei seiner Wahl schwer krank;56 insbesondere die durch Gicht
verursachten Beeinträchtigungen seiner Bewegungsfähigkeit wurden sogar im Konklave
52 Vgl. Achim Thomas Hack, Das Empfangszeremoniell bei mittelalterlichen Papst-Kaiser-Treffen
(Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta
Imperii 18, Köln/Weimar/Wien 1999), S. 504 ff.
53 Vgl. Gerhart B. Ladner, Die Papstbildnisse des Altertums und des Mittelalters, 3 Bde. (Città del
Vaticano 1941, 1970, 1984); zur frühesten Darstellung eines reitenden Papstes (Ende des 12./Anfang
des 13. Jahrhunderts) vgl. Bd. 3, S. 295 f., in Auseinandersetzung mit Traeger 2008 (Nachdruck,
wie Anm. 30).
54 Zu den Aufgaben der palafrenieri vgl. zum Beispiel Paravicini Bagliani 2003 (wie Anm. 21), S.
39. Möglicherweise ist das Wort sediarii eine Neuschöpfung des 16. Jahrhunderts.
55 Zum Folgenden vgl. Claudia Märtl, Papst Pius II. (1458–1464) in der Kapelle des Palazzo Medici
Riccardi zu Florenz. Ein Beitrag zu Ikonographie und Zeremoniell der Päpste in der Renaissance.
In: Concilium medii aevi 3 (2000), S. 155–183, hier bes. S. 160–169, mit einer Diskussion der Quel-
len (https://cma.gbv.de/dr,cma,003,2000,a,06.pdf [letzter Zugriff: 30.09.2019]).
56 Vgl. aus medizinhistorischer Sicht Antonia Whitley, Mind over matter. Living with ill health: the
case of Pius II. In: Fabrizio Nevola (Hg.), Pio II Piccolomini: il Papa del Rinascimento a Siena.
Atti del Convegno Internazionale di Studi, 5–7 maggio 2005 (Siena 2009), S. 269–279.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Title
- Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
- Subtitle
- Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Author
- Mario Döberl
- Editor
- Alejandro López Álvarez
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20966-9
- Size
- 17.5 x 24.7 cm
- Pages
- 432
- Categories
- Geschichte Vor 1918