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32 Claudia Märtl
7 Die Etablierung der sedia gestatoria im päpstlichen Zeremoniell
der Frührenaissance
Die Ausweitung der Verwendungsmöglichkeiten des Tragethrons nach der Rückkehr
Pius’ II. aus Mantua bereitete den Boden für die Integration der sedia gestatoria in das
päpstliche Zeremoniell der Frühen Neuzeit, das Liturgie und Triumph verband.62 Zu Be-
ginn des Pontifikats Innozenz’ VIII. (1484–1492) war die sedia gestatoria im Zeremoniell
des päpstlichen Amtsantritts bereits völlig eingeführt, wie aus dem Bericht des Zeremo-
nienmeisters Johannes Burckard hervorgeht.63 Die sedes portatilis kam dabei erstmals nach
der Altarsetzung in Sankt Peter zum Einsatz, als der neue Papst auf dem „tragbaren Sitz“
aus der Kirche in den Vatikanpalast getragen wurde. Zur Weihe wurde Innozenz VIII.
aus dem Vatikanpalast herab und durch die mittlere Tür von Sankt Peter in die Kirche
getragen; nach einer Gebetspause wurde er in die Kapelle des heiligen Gregor getragen;
dann schritt er zu Fuß in einer Prozession zum Hauptaltar; nach der Weihe wurde er von
dort zu einer für den päpstlichen Segen vor der Kirche aufgebauten Tribüne getragen.
Den anschließenden Umzug zum Lateran bestritt er weitgehend zu Pferd, doch stieg er
bei San Clemente auf die sedia gestatoria um. Dies sollte als Sicherheitsmaßnahme dem zu
erwartenden Streit um das päpstliche Reittier beim Lateran vorbeugen, erwies sich aber als
Fehlentscheidung, denn bei der Ankunft vor der Lateranbasilika entglitt der Zug der Kon-
trolle, und der Papst wurde hastig und tumultuarisch, unter Missachtung einiger zeremo-
62 Vgl. Visceglia 2000 (wie Anm. 29), S. 154–170, bes. S. 155: „[…] il trionfo antico divenne, intrec-
ciandosi a forme liturgiche christiane, una componente essenziale dei riti della sovranità papale“. Zum
Forschungsstand vgl. Nikolaus Staubach, „Honor Dei“ oder „Bapsts Gepreng“? Die Reorganisa-
tion des Papstzeremoniells in der Renaissance. In: ders. (Hg.), Rom und das Reich vor der Refor-
mation (Tradition – Reform – Innovation. Studien zur Modernität des Mittelalters 7, Frankfurt a.
M. u.a. 2004), S. 91–136; Günther Wassilowsky/Hubert Wolf (Hg.), Päpstliches Zeremoniell in
der Frühen Neuzeit. Das Diarium des Zeremonienmeisters Paolo Alaleone de Branca während des
Pontifikats Gregors XV. (1621–1623) (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Werte-
systeme. Schriftenreihe des Sonderforschungsbereichs 496, 20, Münster 2007), S. 11–24; Jörg Böl-
ling, Das Papstzeremoniell der Hochrenaissance. Normierungen – Modifikationen – Revisionen.
In: Bernward Schmidt/Hubert Wolf (Hg.), Ekklesiologische Alternativen? Monarchischer Papat
und Formen kollegialer Kirchenleitung (15.–20. Jahrhundert) (Symbolische Kommunikation und
gesellschaftliche Wertesysteme. Schriftenreihe des Sonderforschungsbereichs 496, 42, Münster
2013), S. 273–307.
63 Enrico Celani (Hg.), Johannis Burckardi Liber Notarum ab anno MCCCCLXXXIII usque ad
annum MDVI, 2 Bde. (Rerum Italicarum Scriptores2, 32, Città di Castello 1906–1910), Bd. 1, S. 54,
S. 72–82 (zu der bekannten Episode beim Lateran vgl. Visceglia 2000 [wie Anm. 29], S. 137 f.);
die unten erwähnte Einholung der Heiligen Lanze: S. 356–358, S. 365–367. – Zum Verfasser vgl.
Bernhard Schimmelpfennig, Johannes Burckard. In: Deutscher Humanismus 1480–1520. Ver-
fasserlexikon, hg. von Franz Josef Worstbrock, Bd. 1 (Berlin/New York 2008), Sp. 299–307.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Title
- Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
- Subtitle
- Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Author
- Mario Döberl
- Editor
- Alejandro López Álvarez
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20966-9
- Size
- 17.5 x 24.7 cm
- Pages
- 432
- Categories
- Geschichte Vor 1918