Page - 110 - in Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren - Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
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110 Alejandro López Álvarez
Dass die machtvolle Stellung des Präsidenten des Kastilischen Rates im Lauf der Zeit noch
weiter an Bedeutung gewann, belegt die Tatsache, dass er regelmäßig im Tragsessel zu
Ratssitzungen gebracht wurde und sich auch innerhalb der Sitzungszimmer und anderer
Räume im Hofbereich darin befördern ließ. Hierfür waren im Zeremoniell verschiedene
Regeln vorgesehen. Nach Abschluss der Audienz
begleiteten jene Herren Minister, die bis zur ersten Kammer ihren Dienst verrichten, den
Herrn Präsidenten oder Gobernador bis zu jener Stelle, an der er in den Tragsessel steigt.
Anschließend gehen zwei Kammertürhüter und zwei Hofgerichtsdiener voran und machen
den Weg bis zur Vorhalle frei, wo er die Kutsche oder Karosse besteigt. Bleibt er jedoch im
Tragsessel, so folgt ihm dieselbe Begleitung von Türhütern und Gerichtsdienern bis zu sei-
ner Unterkunft. Die Plätze in der Ehrenkutsche nehmen in diesem Fall seine Kapläne und
Mitglieder seines Anhangs ein.102
Der Präsident konnte jedoch auch zu anderen öffentlichen Anlässen im Tragsessel erschei-
nen. „Stets dann, wenn er im Tragsessel ausging und wenn er in der Karwoche Kirchen
besuchte“, musste ihn auch ein Turhüter des Rates begleiten.103
Die Tatsache, dass ab 1604 nur noch jene Männer Tragsessel besitzen durften, die sich
im Besitz einer Lizenz befanden – ein Phänomen, das wir als „Institutionalisierung“ be-
zeichnet haben –, sowie der immer häufigere Gebrauch von Tragsesseln seitens der Köni-
gin führten zweifellos dazu, dass sich am Hof vermehrt auch Damen in Nachahmung des
königlichen Zeremoniells tragen ließen. Dafür sprechen mehrere Indizien: Unter anderem
wurde damals ein Zeremoniell verfasst, das das öffentliche Erscheinen von Damen am Hof
regelte. Zwar existierten möglicherweise auch schon davor entsprechende Vorschriften, je-
doch finden sich erst in Quellen von Anfang des 17. Jahrhunderts entsprechende Hinweise
dazu. Das vielleicht wichtigste Werk über das Zeremoniell am spanischen Hof stammt aus
der Feder von Yelgo de Vázquez. Anhand dieser Abhandlung, die übrigens dem Duque de
Uceda – dem Sohn des königlichen Günstlings Duque de Lerma – gewidmet ist, lässt sich
gut nachvollziehen, dass sich Tragsessel neben Kutschen zu den bevorzugten Vehikeln von
Hofdamen entwickelt hatten. Die Damen wurden auf der Straße in ihren Tragsesseln von
102 „[…] los Señores Ministros, que asisten a la Sala primera, acompañan al Señor Presidente, o Gober-
nador hasta el sitio donde toma la Silla de manos; y después dos Porteros de Camara, y dos Alguaciles
de Corte, van delante facilitando el paso hasta el Zaguán donde toma el Coche, o Carroza; pero sino
dexa la Silla, lleva el mismo acompañamiento de Porteros, y Alguaciles hasta la Posada, y el Coche de
respeto le ocupan sus Capellanes, y Familia“. Antonio Martínez Salazar, Colección de memorias,
y noticias del gobierno general, y político del Consejo (Reproduktion der 1. Auflage, Madrid 1764,
Madrid 2002), S. 31 f.
103 Martínez Salazar 2002 (wie Anm. 102), S. 31–34, 40, 63, 199, 633 f. und 709 f.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Title
- Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
- Subtitle
- Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Author
- Mario Döberl
- Editor
- Alejandro López Álvarez
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20966-9
- Size
- 17.5 x 24.7 cm
- Pages
- 432
- Categories
- Geschichte Vor 1918