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Tragsessel an den Höfen der österreichischen Habsburger 271
kontinuierlich. Sie belief sich 1682 auf dreizehn, 1683 auf elf und sollte anschließend, bis
zum Tod Leopolds I. im Jahr 1705, nie mehr die Zahl zwölf überschreiten. Ein noch deut-
licheres Indiz für die Verwendung von Tragsesseln durch den Monarchen in jenen Jahren
sind aber einzelne Passagen des Reglements für kaiserliche Sesselträger von 1682.261 Darin
wird einleitend eigens darauf hingewiesen, dass Leopold I. seit einiger Zeit von den Sessel-
trägern „ybel bedient“ worden sei. Auch wird darin explizit erwähnt, dass ein Teil der Ses-
selträger beim Kaiser in Bereitschaft stehen sollte, wenn der andere Teil von ihnen Dienst
bei der Kaiserin versah. Zuletzt wird den Sesselträgern in der Ordnung von 1682 auch
noch explizit untersagt, den Kaiser im Dienst ungefragt anzusprechen. All diese Punkte
lassen keinen Zweifel daran, dass sich der Kaiser – zumindest damals – auch selbst im Ses-
sel tragen ließ. Ob er nach 1683, als die Zahl der Sesselträger wieder gesunken war, erneut
von dieser Gewohnheit abrückte, lässt sich bei derzeitigem Kenntnisstand leider nicht klä-
ren. Was aber war der Grund, der Leopold I. um 1680 zur Verwendung von Tragsesseln
veranlasst haben mag? Obwohl der Kaiser damals erst rund vierzig Jahre alt war, scheint
die Ursache auch in diesem Fall in physischen Beschwerden des Monarchen zu liegen.
Ein Indiz dafür liefert ein Bericht des schwedischen Gesandten Esaias von Pufendorf über
den Monarchen von 1675. Pufendorf erwähnte darin, dass Leopold I. „sehr schwach auf
den Schenkeln“ sei und deshalb einen torkelnden Gang aufweise. Seine Reitübungen, so
der Diplomat, verrichte er aber dennoch mit Kraft und Geschicklichkeit.262 Es liegt nahe,
dass es dem Kaiser unangenehm war, sich in der Öffentlichkeit mit unsicherem Gang zu
zeigen, und er deshalb zu Tragsesseln griff, um diese Schwäche zu kaschieren.
Aus der Regierungszeit Kaiser Leopolds I., nämlich von 1678, datiert das älteste bislang
bekannte Marstallinventar, das den frühesten Überblick über die am Hof vorhandenen
Tragsessel gewährt.263 Neben den bereits erwähnten zwei Tragsesseln, die anlässlich der
Vermählung des Kaisers mit der spanischen Infantin Margarita Teresa 1666 in Paris ange-
schafft worden waren, sowie dem Tragsessel, den die Braut damals aus Spanien nach Wien
mitgebracht hatte, befand sich im Hofmarstall ein einfacher, außen mit schwarzem Leder
und innen mit schlichtem Tuch bezogener Tragsessel, der ursprünglich für den Beichtvater
des Kaisers, Philipp Miller, angeschafft worden war. Zum Zeitpunkt der Inventarerstel-
lung war der Geistliche bereits verstorben. Im Inventar sind außerdem zwei rotsamtene,
261 Vgl. Kapitel 4 und die Transkription der Ordnung in Kapitel 6.2.
262 „Absonderlich ist er sehr schwach auf den Schenkeln und zeiget solches gnugsam durch seinen
vacillierenden Gang; jedoch thut er die Exercitien zu Pferde mit noch ziemlicher Vigueur und
Adresse, […].“ Karl Gustav Helbig (Hg.), Esaias Pufendorf’s kngl. schwedischen Gesandten in
Wien, Bericht über Kaiser Leopold, seinen Hof und die österreichische Politik 1671–1674 (Leipzig
1862), S. 59 f.
263 Zum Hofmarstallinventar siehe Döberl 2010 (wie Anm. 240). Die Tragsessel betreffenden Ein-
träge sind in Kapitel 6.1 angeführt.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Title
- Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
- Subtitle
- Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Author
- Mario Döberl
- Editor
- Alejandro López Álvarez
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20966-9
- Size
- 17.5 x 24.7 cm
- Pages
- 432
- Categories
- Geschichte Vor 1918