Page - 278 - in Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren - Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
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278 Mario Döberl
äußerst rar. Allein vom Tragsessel, den Ferdinand III. anlässlich der Wahl Ferdinands IV.
gebrauchte, ist überliefert, dass er einen roten Samtbezug aufwies, und vom Sessel, in dem
sich Ferdinand III. bei der Krönung seiner Gemahlin Eleonora Gonazaga (II.) 1656 in Prag
tragen ließ, dass er „mit gelbem Goldstück“ ausgeschlagen war.284
Die genauesten Beschreibungen kaiserlicher Tragsessel des 17. Jahrhunderts liefern die
Hofmarstallinventare von 1678.285 Einer der beiden kostbarsten Tragsessel dieser Inventare
war ein Hochzeitsgeschenk, das Kaiser Leopold I. 1666 in Paris für seine Braut Margarita
Teresa herstellen ließ. Es handelte sich dabei um ein geschlossenes, mit fünf herausnehm-
baren venezianischen Gläsern versehenes Prunkvehikel, das außen reiche Goldstickerei auf
rotem Samtuntergrund aufwies und dessen Innenausstaffierung aus blumengemustertem,
mit Gold und Silber durchwirktem Stoff bestand. Ebenso reich mit Edelmetallen durch-
wirkt war das perlfarbene, entlang der Nähte mit Fransen besetzte Sitzpolster. Die drei mit
Gold- und Silberfransen versehenen Vorhänge des Tragsessels zeigten kostbare Goldsticke-
reien auf rot- und weißfarbenem Grundstoff. Die Tragstangen und Schulterbänder für die
Sesselträger waren ebenso wie die Außenseite des Tragsessels mit rotem, goldbesticktem
Samt überzogen. Bemerkenswert ist, dass weder für diesen noch für einen anderen der in
den Inventaren von 1678 angeführten Tragsessel farblich auf das Vehikel abgestimmte Li-
vreen existierten, wie das damals etwa bei drei repräsentativen Kutschen des kaiserlichen
Fuhrparks der Fall war.286
Ähnlich aufwendig, wenn nicht sogar noch kostbarer gestaltet, war ein geschlossener,
unverglaster Tragsessel, den Margarita Teresa 1666 nach Wien mitgebracht hatte. Während
auf dem veilchenfarbenen Samtbezug des Sitzkastenäußeren flächendeckend massive Re-
liefstickereien aus Gold und Korallen aufgebracht waren, war das Innere des Tragevehikels
mit schwerem blassblauem Silberstoff austapeziert. Die drei dazugehörigen Fenstervor-
hänge sowie die Tragegurte für die Sesselträger waren analog zur Außenbespannung in
Samt mit Gold- und Korallenstickereien ausgeführt. Die drei Vorhänge waren zusätzlich
mit kostbaren Zierknöpfen besetzt, von denen allerdings sechs Stück entwendet wurden,
als der Tragsessel „in der galleria gestanden“. Dieser Vermerk im Inventar weist darauf hin,
dass der Tragsessel zwischen 1666 und 1678 zumindest für eine gewisse Zeit gemeinsam mit
anderen Kunstwerken in den Räumlichkeiten der kaiserlichen Galerie287 ausgestellt war.
Welch hohen Bekanntheitsgrad und welche einzigartige Stellung dieser Tragsessel am Kai-
serhof hatte, erhellt sich aus einem im Frühling des Jahres 1677 verfassten Schreiben der
284 Siehe dazu Kapitel 2.7.
285 Siehe dazu die Quellentranskriptionen in Kapitel 6.1.
286 Döberl 2010 (wie Anm. 240), S. 297.
287 Zur Galerie in der Stallburg siehe Alphons Lhotsky, Festschrift des Kunsthistorischen Museums
zur Feier des fünfzigjährigen Bestandes, 2 Bde. (Wien 1941–1945), Bd. 2/I, S. 358–360, 369–372.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Title
- Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
- Subtitle
- Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Author
- Mario Döberl
- Editor
- Alejandro López Álvarez
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20966-9
- Size
- 17.5 x 24.7 cm
- Pages
- 432
- Categories
- Geschichte Vor 1918