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Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren - Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
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284 Mario Döberl 4 Die kaiserlichen Sesselträger: Sozialer Status, Anzahl, Herkunft, Rekrutierung und Dienstvorschrift Im Rahmen des Hofzeremoniells wurden verschiedene körperlich anstrengende oder zu- mindest vordergründig niederrangig erscheinende Assistenzdienste von Personen erfüllt, die auf den oberen Sprossen der sozialen Leiter standen. Zog beispielsweise ein Kaiser in eine Reichsstadt ein, so galten das Tragen des Baldachins, unter dem der Herrscher einritt, aber auch das Führen der Zügel seines Pferdes als Ehrendienste, die ausgewählten Bürgern und hochrangigen Amtsträgern der durch den kaiserlichen Besuch beehrten Stadt vorbe- halten waren.303 In der 1631 ausgestellten Dienstinstruktion für Franz Christoph Kheven- hüller, den Obersthofmeister von Königin Maria Anna, ist festgehalten, derselbe müsse der Königin persönlich behilflich sein, wenn sie auf ihr Reitpferd aufsitzen oder wieder davon absteigen wolle. Gleiches galt für das Besteigen oder Verlassen von Kutschen und Sänften.304 Ein besonders mühseliger, gleichzeitig aber auch reputationssteigernder Dienst war das Tragen eines fürstlichen Leichnams zur Begräbnisstätte. Diese Tätigkeit wurde in der Regel nicht von einfachen Hofdienern, sondern von Adeligen durchgeführt. Ein Bei- spiel von 1596 zeigt, welch enorme Gewichte dabei befördert werden mussten: Die Bahre mit dem Leichnam Erzherzog Ferdinands II. von Tirol wog laut einem zeitgenössischen Bericht rund 400 Kilogramm und wurde von achtundzwanzig Adeligen transportiert.305 Dass den vornehmen Leichenträgern nicht nur große Lasten, sondern auch noch andere Unannehmlichkeiten zugemutet wurden, dokumentiert eine Quelle zur Bestattung des habsburgischen Thronfolgers Ferdinand IV. Der Leichnam des jung verstorbenen Fürsten wurde im Juli 1654, drei Tage nach seinem Ableben, in einen Sarg gebettet und von zwölf königlichen und zwölf kaiserlichen Kämmerern zur Kapuzinergruft getragen. Dabei drang ein derart übler Geruch – der wohl einer schlechten Präparierung des Leichnams in Ver- bindung mit der sommerlichen Hitze zuzuschreiben war – aus dem Sarg, dass den vier- undzwanzig Kämmerern ihre Tätigkeit zur kaum erträglichen Qual wurde.306 303 Siehe dazu ausführlich Gerrit Japser Schenk, Zeremoniell und Politik. Herrschereinzüge im spät- mittelalterlichen Reich (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii 21, Köln/Weimar/Wien 2003), S. 348 f., 466–469. 304 Keller 2005 (wie Anm. 123), S. 228. 305 „Dann kam die fürstliche Bahre. Sie wog ungefähr sieben Centner, und achtundzwanzig Adelige haben gar hart an ihr getragen.“ Victor Klarwill (Hg.), Fugger-Zeitungen. Ungedruckte Briefe an das Haus Fugger aus den Jahren 1568–1605 (Wien/Leipzig/München 1923), S. 191. 306 „Fu sepelito il Re [Ferdinand lV.] nella capella appresso cappucini, portato da 24 tra’suoi proprii e ca- merieri dell’imperatore [Ferdinand III.], ma imbalsamato così puoco bene, che per la puzza stentorno i camerieri a portarlo, e se ne scandalizorno aquanto il nuntio […] e li ambasciatori […].“ Keller/ Catalano 2010 (wie Anm. 213), Bd. 3, S. 829. Über den Ablauf dieses Leichenbegängnisses siehe auch ÖStA, HHStA, ZA, Prot. 1, S. 417–420. Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
Title
Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Subtitle
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
Author
Mario Döberl
Editor
Alejandro López Álvarez
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2020
Language
German
License
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-20966-9
Size
17.5 x 24.7 cm
Pages
432
Categories
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