Page - 294 - in Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren - Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
Image of the Page - 294 -
Text of the Page - 294 -
294 Mario Döberl
selträger auf die neue Vorschrift vereidigt werden. Bei Missachtung der darin festgelegten
Regeln drohte ihnen eine Bestrafung, die im äußersten Fall die Entlassung bedeutete.
Im Text ist festgelegt, dass „Nicolaus Ballastraza“347 als Ältester allen übrigen Sessel-
trägern vorgesetzt sein sollte und diese seinen Dienstanweisungen Folge zu leisten hatten.
Ballastraza selbst musste täglich vom Oberststallmeister dessen Anordnungen entgegen-
nehmen und anschließend das ihm unterstellte Personal instruieren. Leisteten einzelne
Sesselträger Dienst, so hatte auch Ballastraza stets persönlich anwesend zu sein, damit er
den Einsatz beaufsichtigen und gegebenenfalls unverzüglich einschreiten konnte. Vom
Tragedienst war er jedoch entbunden und musste nur in Ausnahmefällen selbst Hand
anlegen. War Ballastraza krank oder hatte er dienstfrei, ernannte der Oberststallmeister
für ihn einen zwischenzeitlichen Stellvertreter unter den Sesselträgern. Zu den zentralen
Aufgaben Ballastrazas zählte es, für Disziplin unter den ihm Untergebenen zu sorgen. Bei
Streitigkeiten oder auftretendem Ungehorsam oblag es ihm zunächst selbst, eine Ermah-
nung auszusprechen. Brachte eine solche nicht das gewünschte Ergebnis, hatte er Meldung
an den Oberststallmeister zu erstatten, der dann eine angemessene Strafe für die Schul-
digen festlegte. Da der Dienst für die Sesselträger mit großen körperlichen Anstrengun-
gen verbunden war, mussten regelmäßige Regenerationsphasen für sie eingeplant werden.
Hierfür wurden sie in zwei Gruppen eingeteilt, wobei jeweils alternierend die eine Gruppe
für einen Tag im Einsatz war, während die andere dienstfrei hatte und sich erholen konnte.
Nahm der Kaiser einen Landaufenthalt, durfte kein Sesselträger verreisen, ohne zuvor die
Erlaubnis des Oberststallmeisters und Ballastrazas eingeholt zu haben. In einem solchen
Fall musste ein Teil von ihnen den Kaiser auf der Reise beziehungsweise zum Séjourort
begleiten und der andere am Hof verbleiben, um gegebenenfalls dort Sesselträgerdienste
zu verrichten. Für den Fall, dass die Kaiserin Sesselträgerdienste in Anspruch nehmen
wollte, war ganz analog zu verfahren, denn auch da mussten sich sämtliche Sesselträger
347 Sein Name wird in verschiedenen Quellen ganz unterschiedlich geschrieben. Siehe dazu Anm. 319.
Ballastraza war am 1. Mai 1654 als kaiserlicher Sesselträger aufgenommen und am 30. Juni 1657,
kurz nach dem Ableben Kaiser Ferdinands III., wieder entlassen worden. In den Jahren 1660 und
1662 ist er als Sesselträger am erzherzoglichen Hof in Innsbruck nachweisbar. TLA, Hs. 1965, fol.
125r; TLA, Ambraser Memorabilien I 173, fol. 18r. Wann genau Ballastraza anschließend wieder in
den kaiserlichen Hofdienst eintrat, ist unbekannt. Im Hofzahlamtsbuch von 1685 ist seine Witwe
Catarina erwähnt, was bedeutet, dass er spätestens in jenem Jahr verstarb. ÖStA, FHKA, HZAB,
Bd. 130, fol. 244v–245r. Von seiner Witwe ist auch ein undatiertes Bittgesuch an den Kaiser er-
halten, das sie circa eineinhalb Jahre nach dem Tod ihres Mannes verfasste und in dem sie davon
berichtet, dass ihr verstorbener Mann zweiunddreißig Jahre lang dem Kaiserhaus als Sesselträger
gedient habe. Sie selbst, so die Witwe, sei arm, alt und krank, habe drei Söhne und drei Töchter,
von denen zwei unverheiratet seien und deshalb ihre Unterstützung benötigten. Da sie selbst Ita-
lienerin sei, habe sie in Wien keine Verwandten, die ihr helfen könnten. „Catarina Baletrazza“ an
Kaiser Leopold I., undat. (aber ca. 1685), ÖStA, AVA, FA Harrach, Akten, K. 2517, unfol.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
back to the
book Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren - Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts"
Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Title
- Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
- Subtitle
- Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Author
- Mario Döberl
- Editor
- Alejandro López Álvarez
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20966-9
- Size
- 17.5 x 24.7 cm
- Pages
- 432
- Categories
- Geschichte Vor 1918