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332 Gudrun Szczepanek – Friederike Ulrichs
delte es sich bei diesem kostbaren und repräsentativen Tragsessel sowie der Kutsche um
das prunkvolle Ensemble aus Savoyen, also den „Tuorinischen [sic] Tragsessl“, der „mit
Goltt vnd rotsammet vermengten Pluemmen, wie selbige Gutschen außstaphirt“ war.58
Auf gleicher Höhe mit der Kutsche ließ sich die verwitwete Kurfürstin in einem schwarz
ausstaffierten Tragsessel tragen, der ebenfalls im Inventar von 1656 genannt wird.59 Den
Münchner Bürgern wurde mit diesem festlichen Aufzug einmal mehr die Pracht des kur-
fürstlichen Hofes und die dynastische Verbindung nach Italien und zum Hause Pfalz-Neu-
burg vor Augen geführt.
Am folgenden Tag fand zu Ehren des Täuflings eine Jagd statt, zu der die Herren auf
ihren Pferden ritten, die Damen jedoch Kutschen benutzten, da es regnete. Am Samstag,
dem 23. September, begab sich Marchese Pallavicino noch einmal in die Residenz, wo
ihm der Kurfürst persönlich entgegenkam, die Kurfürstin und die Kurfürstinwitwe jedoch
in Tragsesseln getragen wurden.60 Gemeinsam begab man sich dann zum Appartement
des Herzogs von Neuburg und anschließend mit dem Herzogspaar zum Appartement des
Fürsterzbischofs, um zusammen zur Messe in die Hofkapelle zu gehen. Tragsessel fanden
also auch im Innenbereich zur zeremoniellen Begrüßung und Ehrbezeugung gegenüber
ranghohen Gästen Verwendung, und zwar im Speziellen durch die Damen des Münchner
Hofs, die Kurfürstin und die Kurfürstinwitwe.
Federico Pallavicino reiste am 3. Oktober 1662 aus München ab. In seinem „Diario“
berichtet er noch zweimal, dass sich die Kurfürstinwitwe im Tragsessel tragen ließ.61 Seine
Beschreibungen zeichnen ein lebendiges Bild von der repräsentativen Bedeutung der Trag-
sessel am Münchner Hof.
Im Inventar von 1680 wurden neue Begriffe eingeführt, wie ein „Sede rollanda, ain
offene churfürsstl[iche] Leibseza, für unserem g[nädi]gsten Herren“.62 Vermutlich han-
delte es sich dabei um eine sogenannte „Chaise roulante“, eine einachsige Sesselkutsche
mit langen, federnden brancards, wie sie seit 1660 an den europäischen Fürstenhöfen mo-
dern wurde.63 Durch die leichte Bauweise und den besseren Fahrkomfort waren derartige
scheinlich erscheint dagegen die Beschreibung Pallavicinos (fol. 16v), wenn er anstelle der Tochter
Henriette Adelaides eine Tochter der Herzogin von Neuburg nennt. Vgl. Tipton 2010 (wie Anm.
46), S. 36 und S. 96.
58 Zum Beispiel Marstallinventar von 1680, BSV.Inv0203, fol. 28v.
59 Bei Pallavicino ist die Rede von „cadrega“, also Tragsessel (vgl. Tipton 2010 [wie Anm. 46], S. 36,
die „cadrega“ jedoch mit Sänfte übersetzt, vgl. ebenda, S. 93).
60 Vgl. Tipton 2010 (wie Anm. 46), S. 40: „[…] la Serenissima Elettrice Reggente e la Serenissima Elet-
trice Vedova in cadrega.“
61 Ebenda, S. 43 und 52.
62 BSV.Inv0203, fol. 38r.
63 Vgl. Wackernagel 2002 (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 117, Abb. 127.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Title
- Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
- Subtitle
- Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Author
- Mario Döberl
- Editor
- Alejandro López Álvarez
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20966-9
- Size
- 17.5 x 24.7 cm
- Pages
- 432
- Categories
- Geschichte Vor 1918