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338 Gudrun Szczepanek – Friederike Ulrichs
nach München gebracht worden war. Dieser Mann fand sein Auskommen am Hof Max
Emanuels, wo er zunächst als kurfürstlicher Sesselträger Anstellung fand. Am 1. Januar
1688, kurz vor seiner Trauung mit Kunigunde Ertmann,78 wurde er zum Eselknecht im
kurfürstlichen Marstall befördert und verdiente nun laut Besoldungsbuch, in dem er als
„Anthoni Machomet“ geführt wird, jährlich 76 Gulden.79
Im Sommer und Herbst 1686 kamen infolge der Eroberungen der ungarischen Städte
Pest und Buda zunächst rund 340 türkische Kriegsgefangene und dann noch einmal 296
Türken nach Bayern. Nach der Belagerung und Zerstörung von Belgrad wurden 1688
nochmals über 400 türkische Gefangene nach München gebracht.80 Sie wurden als Be-
dienstete am kurfürstlichen Hof und bei Adeligen eingesetzt. Vor allem aber mussten sie
in der kurfürstlichen Manufaktur zur Tucherzeugung sowie bei den Kanalbauten von
Nymphenburg, Schleißheim und Dachau arbeiten. Einige dieser Türken wurden auch als
Träger für die öffentlich zu mietenden Tragsessel ausgebildet. Sie waren dem Sesselmeister
unterstellt und hatten seinen Anordnungen Folge zu leisten.
Dass die türkischen Sesselträger zwar hart arbeiten mussten, dabei jedoch ihr Auskom-
men hatten, belegt die bereits erwähnte Sesselmeisterordnung von 1688. Der Sesselmeister
hatte darauf zu achten, dass die Sesselträger ausreichend zu essen und zu trinken bekamen.
Während der Woche gab es mittags
guets Oxen: oder Ründtfleisch auch Suppen und Krautt: auf die nacht aber Fleisch, und
Reis in der Fleischsuppen od[er] aber Gersten, neben einen Sollat zu speißen, an Fasttä-
gen sollen ihnen guete cräfftige Speißen von Mell und Schmalz gegeben: und solle ihme
Sesslmaister vor solche Cost auf die Persohn wochentlich 1 fl. Costgelt bezalt werden.
Und weiter unter Absatz 9 heißt es:
Den Trunckh betr. hat man ieden Türckhen die Mahlzeit ain halbe Mass Pier zu geben,
und solle diser Trunckh aus der Sessl Cassa bezahlt werd[en].81
Zum Waschen sollten sie sich ins Zuchthaus begeben, wo auch ihre Kleidung gereinigt
wurde, oder aber eines der öffentlichen Stadtbäder aufsuchen.
78 Archiv des Erzbistums München und Freising, Pfarrmatrikeln, Trauungen St. Peter, 1670–1690
(Sign. 9011), fol. 287r. Die Hochzeit war am 12. Januar 1688. Vgl. Krischer 2014 (wie Anm. 76),
S. 133.
79 BHStA, Kurbayern Hofzahlamt, Nr. 726, fol. 158v.
80 Vgl. Ausstellungskatalog Max Emanuel (wie Anm. 75), Bd. 2, S. 79 f., Nr. 204 und S. 82, Nr. 212.
81 BSB, Cod.germ.2093: „Instruction wie sich der Sesselmaister zuverhalten“, Absatz 8 und 9.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Title
- Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
- Subtitle
- Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Author
- Mario Döberl
- Editor
- Alejandro López Álvarez
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20966-9
- Size
- 17.5 x 24.7 cm
- Pages
- 432
- Categories
- Geschichte Vor 1918