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346 Marie Maggiani
auf die später noch näher eingegangen wird, erkennen lässt. Leider sind die bislang ver-
fügbaren wissenschaftlichen Dokumentationen einzelner bereits registrierter Tragsessel
zumeist derart ungenügend, dass die Erstellung einer Chronologie oder einer präzisen Ty-
pologie anhand spezifischer Elemente, wie dies beispielsweise Türschnallen oder -angeln
sein könnten, zum derzeitigen Zeitpunkt nicht möglich ist. Der vorliegende Beitrag strebt
daher auch in keiner Hinsicht Vollständigkeit an, sondern widmet sich vielmehr in ein-
gehender Weise einigen wenigen Tragsesseln, die zwischen Ende des 17. und Anfang des
18. Jahrhunderts in Frankreich hergestellt wurden.4
2 Tragsessel im Machtzentrum der Monarchie
In der königlichen Residenz und dem Kloster El Escorial wird heute die Replik eines Trag-
sessels aufbewahrt, in dem sich Philipp II. von Spanien (1527–1598) gelegentlich tragen
ließ. Wie er verwendeten auch verschiedene französische Herrscher, von Heinrich II.
(1519–1559) bis Ludwig XIV. (1638–1715), derartige Vehikel. Einem Zeitzeugen zufolge wa-
ren Tragsessel damals in Frankreich weit verbreitet.5 Da ein Mangel an Wagen und Kut-
schen bestand, galten Tragsessel als „la seule voiture de commodité que l’on avait dans Paris“6.
Zu den illustren Personen, die Tragsessel benutzten, zählten unter anderem Caterina de’
Medici (1519–1589), deren Tochter Margarete von Valois (1553–1615) sowie Maria de’ Medici
(1575–1642), die zweite Gemahlin Heinrichs IV. Anfangs handelte es sich dabei um einfache
Stühle, die zu Transportmitteln umfunktioniert wurden. In einer späteren Phase wurden
die Vehikel schließlich auch überdacht. Kardinal Mazarin (1602–1661) sowie La Meilleraye
(1602–1664) und Fouquet (1615–1680), beide Vorstände der französischen Finanzverwal-
tung, aber auch der Erzbischof von Bordeaux, Henri de Béthune (1604–1680), besaßen
Tragsessel.7 Ludwig XIV. benutzte Tragsessel, wenn er an Gichtanfällen litt,8 und seine Mä-
4 Der vorliegende Beitrag beruht auf der unpublizierten Dissertation der Verfasserin: Marie Mag-
giani, La parade citadine aux 17ème et 18ème siècles. Enquête méridionale sur la chaise à porteurs
(ungedr. Dissertation, Universität Toulouse II 2007).
5 Nicolas Delamare, Traité de la police où l’on trouvera l’histoire de son établissement […], Bd. 4
(Paris 1738), Kapitel 2, Abschnitt 3, S. 449: „Du privilège des chaises portées à bras et des porteurs de
chaises“.
6 Ebenda.
7 Henry Havard, Dictionnaire de l’ameublement et de la décoration. Depuis le XIIIe siècle jusqu’à
nos jours, 4 Bde. (Paris 1894), Bd. 1, Artikel „Chaise à porteurs“, S. 653–655.
8 Ein königlicher Leibarzt erteilte dem Monarchen den Rat, sich winters vor Kälte und Nässe zu
schützen, und zwar „dans une chaise à porteurs devant son feu“ – der Kasten würde ihn mit milder
Wärme umgeben. Moyens faciles et éprouvés dont M. de Lorme, premier médecin ordinaire de
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Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Title
- Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
- Subtitle
- Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Author
- Mario Döberl
- Editor
- Alejandro López Álvarez
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20966-9
- Size
- 17.5 x 24.7 cm
- Pages
- 432
- Categories
- Geschichte Vor 1918