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362 Marie Maggiani
aber finanzieller Natur sein. Bei den heraldischen Zeichen, die häufig auf einem einfarbi-
gen, dunklen Untergrund angebracht waren, handelte es sich manchmal um ein einzelnes
Familienwappen, zuweilen aber auch um ein Allianzwappen. Gelegentlich war das Wap-
pen von einer Kartusche umfasst, mit einer Krone versehen und von Tieren oder Putten
flankiert, die als Schildhalter fungierten. Um den Besitzer des Vehikels eindeutig identi-
fizieren zu können, wurde das Wappen mitunter durch ein Monogramm ergänzt.
Ging der gemalte Dekor über eine einfache Wappendarstellung hinaus, mussten dabei
gewisse Konventionen berücksichtigt werden. Zwar konnten Künstler aus dem reichen
ornamentalen Repertoire ihrer Zeit schöpfen und den Paneelen entweder einen feierlichen
oder einen unbeschwerten Charakter verleihen, jedoch waren sowohl Historienmalereien
als auch Porträtdarstellungen verpönt, da diese als inadäquat oder gar trivial erachtet wur-
den. Geschätzt wurde hingegen die Darstellung von Allegorien und mythologischen Figu-
ren, da derartige Motive gelehrte Verweise mit optischer Gefälligkeit verbanden. So ist bei-
spielsweise auf einem Tragsessel des Kutschenmuseums im Schloss Compiègne28 auf dem
Türpaneel die auf einer Muschel stehende Venus zu sehen, während die Kastenrückseite
Neptun zeigt, der ganz offensichtlich von einem Entwurf Jean Bérains oder Jean Lepautres
inspiriert ist. Die übrigen Paneele sind mit verschiedenen zurückhaltend gestalteten ma-
ritimen Sujets dekoriert, etwa mit Jakobsmuscheln, Sirenen, in Muschelhörner blasenden
Tritonen und so fort. Insgesamt gesehen wirkt die Dekoration des Tragsessels mit seiner
verhältnismäßig neutralen Symbolik ausgewogen und geschmackvoll.
Ähnliches lässt sich auch für die Tragsessel von Périgueux (Abb. 6) und Bordeaux (Abb.
7) feststellen, deren Stil von jenem des Petit Palais abweicht. Bei beiden Tragsesseln sind
die Seitenpaneele unterhalb der Fensterzone im hinteren Bereich stark eingezogen, und
beide verfügen über ein Dach in Form eines „chapeau de gendarme“. Der sorgfältig aus-
geführte malerische Dekor, der vermutlich stellenweise nachgebessert wurde, ist weit we-
niger komplex als die „Bérinades“. Sämtlichen Paneele sind mit Palmetten, Blattranken,
Akanthusblättern und Flechtwerkmustern bedeckt, während die Wappen nur an der Kas-
tenvorder- und -rückseite zu sehen sind. Der Luxus entfaltet sich hier vor allem im mit
kostbaren Stoffen bezogenen Inneren des Kastens. Die Qualitätsstufe oder Seltenheit der
Textilien, die Komplexität der Webart, die bei der Anfertigung eingehaltene Sorgfalt, das
Vorhandensein von Gold- und Silberelementen, die Herstellungsdauer sowie die Entfer-
nung des Produktionsortes waren Faktoren, die Einfluss auf den Preis derartiger Stoffe
nehmen konnten. Aus diesem Grund stellten Auftraggeber in Frankreich wie auch in an-
deren Ländern mitunter selbst die Stoffe für ihre Tragsessel bereit. Andernfalls wurden im
Kaufvertrag die geforderten Stoffeigenschaften meist präzise festgelegt.
28 Inv.-Nr. MV.60.D.1. Siehe dazu Maggiani 2007 (wie Anm. 4), Bd. 2, Tragsessel Nr. 2.
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Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Title
- Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
- Subtitle
- Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Author
- Mario Döberl
- Editor
- Alejandro López Álvarez
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20966-9
- Size
- 17.5 x 24.7 cm
- Pages
- 432
- Categories
- Geschichte Vor 1918