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Französische Tragsessel des späten 17 und frühen 18 Jahrhunderts 367
Geschäftszweig gewesen zu sein, da neidische Blicke auf dieses „établissement si commode et
si avantageux“ fielen und versucht wurde, parallel zu den offiziell genehmigten Tragsesseln
illegale Konkurrenzunternehmen aufzubauen.48
Tragsessel konnten aber nicht nur in der Hauptstadt gemietet werden. So stand etwa
seit März 1634 auch den Einwohnern der Parlamentsstadt Aix-en-Provence eine derartige
Dienstleistung zur Verfügung. Rund zwei Jahrzehnte später, im Jahr 1655, erhielt ein ge-
wisser Paradis, der als Tapissier in der Stadt ansässig war, die Erlaubnis, über einen Zeitraum
von vier Jahren zehn selbst gebaute Tragsessel vermieten zu dürfen. Im darauf folgenden
Jahr dehnte er dieses Geschäft auf die Stadt Arles aus. 1657 überließ er sogar einige von ihm
selbst gebaute Tragsessel Sesselträgern, die sie in Monfrein und bei der nur einige Kilome-
ter von Arles entfernten Messe von Beaucoire einsetzen und gegebenenfalls auch verkaufen
durften.49 Da sich im städtischen Bereich mit derartigen Transportunternehmen offenbar
gute Geschäfte machen ließen, überrascht es auch nicht, dass im April 1663 auch im nahe
gelegenen Marseille ein Tapissier namens Balthazar Bayan einen Tragsesselverleih gründete.50
Zu jener Zeit wurde offiziell bestimmt, dass fortan allein den Tapissiers das Recht zu-
stand, Tragsessel herzustellen, während Sattlern diese Tätigkeit vorerst unter der Andro-
hung von Strafen untersagt wurde.51 Tatsächlich stellten Sattler eine ernstzunehmende
Konkurrenz für Tapissiers dar. Beschränkten sie sich anfangs noch auf die Herstellung von
Sätteln und Geschirren, begannen sie später Kutschen und Karossen mit Leder zu be-
ziehen, um schließlich ihren Tätigkeitsbereich noch weiter auszudehnen. Eine Regelung
von 1678 bestätigte eine damals bereits verbreitete Praxis, der zufolge nunmehr Sattler und
nicht länger Tapissiers für die textile Ausstattung und Fertigstellung von Fahrzeugkästen
zuständig sein sollten. In Artikel 15 dieser Neuordnung ist explizit festgelegt, dass
48 Ebenda. Unter dem Datum 25. April 1669 erwähnt Nicolas Delamare aus diesem Grund die Ver-
haftung von Sesselträgern. Ebenda, S. 450.
49 Boyer 1979 (wie Anm. 44).
50 AMM, HH 423, 1663 April 17, „usage des chaises établi à Marseille par Balthazar Payan maître tapis-
sier“.
51 „[…] que dorénavant aux Tapissiers seuls appartiendra la manufacture desdites chaises à porter par
l’homme, et deffenses à tous selliers d’en faire n’y entreprendre, faire faire par qui que ce soit, à peine de
confiscation, et de quatre-vingt livres d’amande […]“. Urteil von Châtelet, 1665 September 6. Der
Urteilsspruch greift den Wortlaut des 1636 erlassenen und im Jahr 1645 sowie in mehreren Pariser
Parlamentssitzungen bestätigten Statuts erneut auf. Zit. nach Lespinasse 1892 (wie Anm. 33), S.
466. Siehe dazu auch das Beispiel von einem Tapissier in Aix-en-Provence, der 1674 anlässlich der
Durchreise der Herzogin von Modena den Auftrag zur Herstellung von „une chaise garnie par le
dedans de velours cramoisy et par le dehors d’une toille cirée peinte“ erhielt. AMAeP, Comptabilité de
la ville, CC 649 (1651–1675), fol. 223.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Title
- Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
- Subtitle
- Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Author
- Mario Döberl
- Editor
- Alejandro López Álvarez
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20966-9
- Size
- 17.5 x 24.7 cm
- Pages
- 432
- Categories
- Geschichte Vor 1918