Page - 375 - in Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren - Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
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Mario Döberl
Résumé
1 Etablierung, Verbreitung, Einsatzgebiete und rechtliche Restriktionen
Nach heutigem Kenntnisstand war Rom der erste europäische Fürstenhof, an dem Tragses-
sel in das höfische Zeremoniell integriert wurden. Bislang dominierte in der Forschungs-
literatur die Ansicht, dass die Wurzeln der päpstlichen sedia gestatoria in der römischen
Antike lägen und sich eine kontinuierliche Verwendung dieses Transportmittels über das
gesamte Mittelalter bis in die Frühe Neuzeit belegen ließe. Diese Vorstellung beruhte
hauptsächlich auf den 1578/88 publizierten Darstellungen des aus Spanien stammenden
Klerikers José Estefan, der damit protestantischen Stimmen entgegentreten wollte, die im
Tragethron den Ausdruck eines dekadenten Papsttums sahen. Spätere Autoren, allen vo-
ran Mitte des 19. Jahrhunderts Gaetano Moroni, folgten und vertieften Estefans Thesen
und sorgten für deren Verbreitung. Wie im vorliegenden Band dargelegt wird, hält die im
16. Jahrhundert entwickelte Argumentationsstrategie zur Geschichte der sedia gestatoria
jedoch einem kritischen Blick auf die Quellen nicht stand. Die Tradition, Päpste bei feier-
lichen Anlässen in einem Tragsessel zu transportieren, ist vielmehr eine „Erfindung“ des
Spätmittelalters.
Der Anfang dieser Tradition liegt im Pontifikat von Pius II. (1458–1464), der im Jahr
1459 aus pragmatischen Gründen, zu denen auch sein prekärer Gesundheitszustand zählte,
in mehreren italienischen Städten seinen feierlichen Einzug auf einem Tragsessel sitzend
und nicht, wie bis dahin üblich, zu Pferd hielt. Pius II. erkannte die hohe Symbolkraft
der sedia gestatoria und verwendete auch in den darauf folgenden Jahren bei zahlreichen
Gelegenheiten einen Tragethron. Er verstand es geschickt, ein Symbol der Schwäche in
eine neue Insignie des päpstlichen Triumphs umzudeuten, die in den darauf folgenden
Pontifikaten vollends ihren Platz im römischen Hofzeremoniell fand. Ende des 15. Jahr-
hunderts war die häufige Verwendung von Tragsesseln durch den Papst im Rahmen von
zeremoniellen Ereignissen bereits so selbstverständlich geworden, dass sie in den Quellen
häufig schon gar nicht mehr als erwähnenswert erachtet wurde.
Die päpstlichen Zeremonienmeister begannen allmählich zwischen verschiedenen Ty-
pen von päpstlichen Tragsesseln zu differenzieren: Bei der sedia (gestatoria) maior, die allein
bei Anlässen von höchster Bedeutung zum Einsatz kam, handelte es sich um eine von
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Title
- Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
- Subtitle
- Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Author
- Mario Döberl
- Editor
- Alejandro López Álvarez
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20966-9
- Size
- 17.5 x 24.7 cm
- Pages
- 432
- Categories
- Geschichte Vor 1918