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386 Mario Döberl
Ausstattung lassen sich an der Art der Verglasung beobachten. Während luxuriöse Trag-
sessel mit kostspieligen Spiegelgläsern und großflächigen Scheiben versehen waren, wiesen
schlichtere Exemplare billigere Glasscheiben gewöhnlicher Machart auf. Um Kosten zu
sparen, wurden die Fensterflächen zuweilen durch Sprossen unterteilt und mit mehreren
kleinformatigen Glasscheiben bestückt.
Manche der in die Betrachtung einbezogenen französischen Tragsessel offenbaren ihre
Kostbarkeit jedoch nicht an ihrem Äußeren, sondern an der Qualität und Herkunft der
im Kasteninneren verwendeten Textilien, auf die – analog zu Kutschen – häufig der größte
Kostenanteil entfiel. Eine Rolle spielten dabei unter anderem die Rarität der Stoffe, die
Komplexität ihrer Webart, die Frage, ob Gold oder Silberfäden eingearbeitet waren, aber
auch die Herkunft der Textilien. In Einzelfällen wurden diese von außerhalb Europas be-
zogen, was dem Vehikel zusätzlich exotischen Glanz verleihen konnte. Eine Auswertung
von Toulouser Nachlassinventaren erhellt, dass im Lauf des 17. Jahrhunderts im Inneren
der Tragsessel meist leichte Textilien wie Seidenstoffe beziehungsweise feines Tuch zum
Einsatz kamen. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden diese fragilen Materia-
lien, die sich rasch abnutzten, leicht rissen und schwer zu säubern waren, meist von Samt
oder anderen widerstandsfähigen Textilien abgelöst. Allein die Vorhänge wurden weiterhin
aus feinem, leichtem Seidenstoff gefertigt, der in der Regel jedoch die gleiche Farbe wie der
Rest der Tapezierung aufwies. Oftmals waren die Samtstoffe monochrom gehalten, wobei
verschiedene Rottöne dominierten. Daneben zählte auch ein strahlendes Gelb zu den am
meisten geschätzten Farben. Bedauerlicherweise ging bei manchen erhaltenen Vehikeln
der ursprüngliche Farbeindruck durch eine spätere Auswechslung der Textilien verloren.
3 Miettragsessel
Mehrere Beiträge des vorliegenden Bandes informieren über die Einführung und Ent-
wicklung von Miettragsesselsystemen in unterschiedlichen urbanen Zentren Europas.
Besonders viele und reichhaltige Quellen liegen hierzu für die spanische Monarchie vor.
Unter den Stadtbewohnern Kastiliens breitete sich im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts
die Nutzung von Tragsesseln in solch rasanter Weise aus, dass sich die Behörden im Jahr
1594 angehalten sahen, diesem Phänomen durch eine Verordnung entgegenzuwirken. Als
Grund dafür wurde ein problematisches Überangebot an Miettragsesseln vorgebracht. Ses-
selträger mussten ihr Gewerbe fortan anmelden und sich einem festgesetzten Tarifsystem
unterwerfen. Die getroffenen Maßnahmen führten vorerst zu einer Verknappung des An-
gebots an Miettragsesseln und erschwerten Personen, die sich keinen eigenen Tragsessel
samt zugehörigem Personal leisten konnten, den Zugang zu diesen Vehikeln. Die Ver-
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Title
- Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
- Subtitle
- Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Author
- Mario Döberl
- Editor
- Alejandro López Álvarez
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20966-9
- Size
- 17.5 x 24.7 cm
- Pages
- 432
- Categories
- Geschichte Vor 1918