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Transdifferenz und Transkulturalität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns 17
Wie ausschlaggebend das Letztere sowie die Förderung durch männliche Kolle-
gen im ausgehenden 19. und dem frühen 20. Jahrhundert waren und welche Maß-
nahmen dagegen gesetzt werden konnten, zeigt sich exemplarisch am kurzen, aber
bewegten Lebensweg von Juliane Déry und in ihren literarischen Texten. Während
ihre gesellschaftskritischen, durch Innovation und Emanzipationsbestrebungen
gezeichneten Prosaarbeiten in den zeitgenössischen Literaturbetrieb Eingang fan-
den, blieb ihr als Dramatikerin der Zugang zur Theaterwelt weitgehend verschlos-
sen. Obwohl sich Déry weder im Sinne einer nationalen oder sprachlichen Zugehö-
rigkeit noch im Sinne einer literarischen Programmatik festlegen wollte, konnte sie
sich gegenüber den nationalistisch oder exotisierend geprägten Stigmatisierungen
schwer behaupten und war zum Teil gezwungen, die negativen Zuschreibungen zu
verinnerlichen (s. Agatha Schwartz: Alterität, Gender, Transdifferenz und Hybridität
in Juliane Dérys Leben und Werk).
Gerade diese Konzession beziehungsweise die Auflehnung gegen sie wird in
mehreren exemplarischen Schauspielerinnenkarrieren um 1900 sichtbar: Der
Zwang zur Mobilität, diese institutionell auferlegte Arbeitsmigration insbesondere
in den leichteren Theatergattungen, erforderte ein ›Nomadentum‹ zwischen Na-
tionen, Sprachen, gesellschaftlichen Klassen und Rollen. Der historische Blick auf
den postmodern geprägten Begriff des ›Nomaden‹ fördert eindeutig zutage, wie
Theaterkünstlerinnen des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts aus
ihren prekären Berufsbedingungen bereits Kapital zu schlagen imstande waren:
Tilla Durieux, Julie Kopacsy, Fritzi Massary oder Adele Moraw stehen allesamt für
eine frühe Form des erfolgreichen transnationalen Agierens in urbanen Milieus,
das stets die bürgerliche Lebensform herausforderte und der Herausbildung einer
kosmopolitisch geprägten Künstlerinnenpersona Vorschub leistete (s. Eva Kriva-
nec: Nomadische Berufspraxis und Attraktion der Großstadt. Transnationale Laufbah-
nen darstellender Künstlerinnen der Donaumonarchie um 1900).
In all diesen Beispielen wird der dynamische Charakter von jenen transdiffe-
renten Momenten deutlich, die die Geschlechter-, Klassen- oder Stildifferenzen
situationsbedingt sichtbar und problematisierbar machen. Aus der Perspektive
der Transdifferenz ist es dabei ausschlaggebend, dass migrationsbedingte Identi-
tätsverschiebungen hier nicht als Preisgabe einer von Geschlecht und Sexualität
ausgehenden Selbstpositionierung verstanden und praktiziert werden, wie dies in
den von den Queer Studies beeinflussten Migrationstheorien angenommen wird,
sondern als ein Aushandlungsprozess, der auf die Dynamisierung von diversen
Differenzen abzielt.
5. Öffnungen und Vereinnahmungen in der publizisTiK
Ähnlich verhält es sich im Fall der zahlreichen, in den Peripherien der Habsburger
Monarchie, aber auch in den urbanen Zentren verankerten Presseprodukte. Ein
frühes Beispiel für das Changieren zwischen nationalen und imperialen Interessen
stellt das umfangreiche und richtungsweisende journalistische Werk von August
Šenoa dar, dessen Projekt die kulturpolitische und ideologische Aushandlung von
jenen Identitätsmerkmalen bezweckte, durch die sich nationale und imperiale Lo-
yalitäten bündeln ließen. In diesen Bestrebungen werden Identitätskonstruktionen
sichtbar, deren Ränder ›elastisch‹ gehalten werden, um ihre Absorptionsfähigkeit
Transdifferenz und Transkulturalität
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Title
- Transdifferenz und Transkulturalität
- Subtitle
- Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Authors
- Alexandra Millner
- Katalin Teller
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3248-8
- Size
- 15.4 x 23.9 cm
- Pages
- 454
- Keywords
- transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
- Category
- Kunst und Kultur