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Alexandra
Millner38
James Cliffords prozessualer Kulturbegriff weitergedacht wird, folgendermaßen:
»Das Denken der Transdifferenz erfordert somit die Fähigkeit, Ungewissheit, Zwei-
fel und Unentscheidbarkeit auszuhalten, das Inkommensurable zu ertragen, ohne
dem Drang nachzugeben, Transdifferenz in binäre Differenzen aufzulösen […].«41
Transdifferenz inkludiert demnach die – gerade für Gesellschaftskrisen sympto-
matische – Instabilität beziehungsweise Ambivalenz soziokultureller Konstrukte,
die Erfahrungen der Mehrfachzugehörigkeiten und der damit verbundenen unauf-
hörlichen Arbeit an der Konstruktion und Inszenierung soziokultureller Grenzen
beziehungsweise deren Transgression sowie das Nichtverstehen.42
Während über die Zugehörigkeiten das Subjekt auf ein Transsubjektives, Kol-
lektives gerichtet gedacht wird, sind transdifferente Momente an Akteurinnen und
Akteuren orientiert und beziehen sich auf Selbstpositionierungen, in denen die
Dominanz interdependenter sozialer Kategorien und die Prägung durch Zugehö-
rigkeiten – zumindest temporär – suspendiert werden.
Transdifferenz bezeichnet »Momente der Ungewissheit, der Unentscheidbar-
keit und des Widerspruchs«, Momente, in denen das »Individuum die Erfahrung
einander widersprechender und sich wechselseitig ausschließender Inklusions-
und Exklusionslogiken macht«.43 Bereits in Klaus Löschs Begriffsdefinition wird
die gesellschaftspolitische Sprengkraft des Konzepts deutlich:
Die Betonung des […] Unvereinbaren und Widerständigen dient der Erweiterung der indi-
viduellen Spielräume, einige Zugehörigkeitsaspekte situativ zu wählen, ohne zugleich die
jeweils konfligierenden zu Gunsten einer konsistent erscheinenden Identitätspräsentation
negieren zu müssen. Statt dem Druck nach einer eindeutigen Positionierung des Individu-
ums in der sozialen Interaktion nachzugeben, können damit (zumindest temporär) unter Ver-
weis auf andere Inklusionsschemata, denen das Individuum ausgesetzt ist, fluktuierende
Positionalitäten eingenommen werden. Die solchermaßen in Anspruch genommene trans-
differente Positionalität kann somit als theoretischer Ort des Widerstands gegen sozialen
Normierungsdruck, eindeutige Identifikationsanforderungen und sanktionsbedrohte Total-
inklusionsansprüche konzeptualisiert werden.44
Für die literaturwissenschaftliche Praxis lassen sich folgende Aspekte fruchtbar
machen: Ausgehend von einer Figurenanalyse, die sich – wie oben gezeigt wurde
– an sozialen Kategorien, deren Interdependenz und deren Dominanzverschiebun-
gen orientiert, können über die Kontextualisierung der transdifferenten Positiona-
lität Gegenpositionen zu gesellschaftlichen Normen beziehungsweise dominanten
Diskursen sichtbar gemacht und zu Analysen von sozialen Transformationen, die
dem Text eingeschrieben sind, zusammengefasst werden.
41 | Lösch: Begriff und Phänomen der Transdifferenz, S. 28.
42 | Vgl. Allolio-Näcke/Kalscheuer/Manzeschke: Differenzen anders denken; Kalscheuer,
Britta/Allolio-Näcke, Lars (Hg.): Kulturelle Differenzen begreifen. Das Konzept der Transdif-
ferenz aus interdisziplinärer Sicht. Frankfurt a.M.: Campus 2008; Ernst, Christoph/Sparn,
Walter/Wagner, Hedwig (Hg.): Kulturhermeneutik. Interdisziplinäre Beiträge zum Umgang
mit kultureller Differenz. München: Fink 2008.
43 | Kalscheuer: Transdifferente Positionalitäten, S. 13.
44 | Lösch, Klaus: Begriff und Phänomen der Transdifferenz, S. 40.
Transdifferenz und Transkulturalität
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Title
- Transdifferenz und Transkulturalität
- Subtitle
- Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Authors
- Alexandra Millner
- Katalin Teller
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3248-8
- Size
- 15.4 x 23.9 cm
- Pages
- 454
- Keywords
- transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
- Category
- Kunst und Kultur