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Alexandra
Millner44
bestehende Ordnung, die bestehenden Verhältnisse zu stören beginnen – ein Phä-
nomen, welches das gesellschaftspolitische Spannungsverhältnis in Österreich-
Ungarn repräsentiert. Das Propagieren einer liberalen Haltung, die von Toleranz,
Solidarität und einer prinzipiellen Offenheit gegenüber dem fremden kollektiven
Bedeutungsraum geprägt ist, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Vor-
stellungen vom Guten – von den ›richtigen‹ Werten, den ›guten Menschen‹ und
der ›guten‹ Gemeinschaft –, die zwar mit dem Anspruch einer zumindest kontext-
transzendierenden, wenn nicht sogar universellen Gültigkeit konstruiert werden,
dennoch einem eurozentrischen Denkrahmen verhaftet bleiben.55
3. Transdifferenz in der
liTeraTurwissenschafTlichen analyse
Die Offenheit des Konzepts der Transdifferenz schafft einen möglichen Ausweg
aus dem Dilemma binärer Logiken: Denn zum einen brauchen wir zur analyti-
schen Erfassung von Figurenidentitäten zwar eindeutige, wenn auch reduktive Be-
griffe, wie es etwa die sozialen Kategorien sind, auch wenn es kein Phänomen gibt,
das in der Reinheit der Begrifflichkeit existiert. Die Frage muss lauten: Wo lässt
sich ein Protagonist oder eine Protagonistin in Bezug auf die jeweilige Kategorie
einordnen? Wir brauchen diese Begriffe, um komplexere soziale Phänomene bezie-
hungsweise um Figurenkonstellationen und Textstrukturen in ihrer Komplexität
beschreiben zu können.
Zum anderen muss unaufhörlich berücksichtigt werden, dass die Kategorien
immer mit dem Präfix »trans-« zu denken sind, da jede dieser Kategorien immer
schon durchdrungen ist von anderen Kategorien. Das befreit zusätzlich von der Ge-
fahr, essenzialistische Fragen zu stellen wie: Wie ist die kategoriale Positionierung
jeweils beschaffen? Von welchen sozialen Kategorien wird die Interdependenz der
Kategorien dominiert? Auf diesem Weg lassen sich Textelemente auf den größeren
gesellschaftlichen Kontext hin interpretieren und Diskurspositionen festmachen.
Die Interpretation sozialer Verschiebungen innerhalb der Figurenkonstruktion
und die Individualisierung von Genrefiguren müssen dabei ebenso von analyti-
scher Relevanz sein wie die Berücksichtigung der narrativen Situation im Text und
der konkreten Migrationserfahrung der Autorin.
Der Bestimmung via Differenzmerkmale wird durch das »Trans-« eine Mög-
lichkeitsdimension hinzugefügt, die unvorhersehbar ist und offen bleiben muss.
Sie verweist auf das unaufhörliche »doing identity« und erweitert die damit ver-
bundene »Festschreibung bzw. [das] Positioniert-Werden[…]« durch eine »aktive[…]
und subjektive[…] Akteurspositionierung, welche das emanzipatorische Potential
besitzt, existierende Machtverhältnisse zu verschieben«.56 Mithilfe des Transdif-
ferenz-Konzepts lässt sich das gesellschaftskritische Potenzial der Texte von Mi-
grantinnen Österreich-Ungarns auch dann festmachen, wenn es nicht explizit
55 | Vgl. Rosa: Identität, S. 55.
56 | Kalscheuer: Transdifferente Positionalitäten, S. 16; vgl. Konsensalo, Annikki: Zur Prob-
lematik von transkultureller Kommunikation, Transkulturalität und Transdifferenz. Ein trans-
disziplinärer Lösungsansatz. In: TRANS 17 (2010), S. 1-11, hier S. 8, www.inst.at/trans/
17Nr/2-1/2-1-_koskensalo17.htm (zuletzt eingesehen am 14.12.2014).
Transdifferenz und Transkulturalität
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Title
- Transdifferenz und Transkulturalität
- Subtitle
- Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Authors
- Alexandra Millner
- Katalin Teller
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3248-8
- Size
- 15.4 x 23.9 cm
- Pages
- 454
- Keywords
- transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
- Category
- Kunst und Kultur