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Transdifferenz und Transkulturalität - Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
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Palimpsest über Anna O. 61 in der Transdifferenz zerstreute Sinn, die Widerstandslosigkeit der Patientin for- dern den Gestus der Aneignung dieser Figur geradezu heraus. Für den Gestus weiter überschreibender Aneignung ist dabei nicht ausschlag- gebend, ob die resultierende Erzählung die auslösende Erfahrung eines Traumas ›wirklich‹ abbildet; Jacques Lacan und die amerikanischen Narrativisten (Roy Sha- fer, Donald Spence) betonen den konstruierten Charakter des Gedächtnisses zu Recht, wenn sie nicht mehr an die »historische Wahrheit« der auf der Couch preis- gegebenen Erinnerung glauben.42 In beiden Fällen enteignet der Gestus der Inter- preten im Falle Anna O.s ein Leiden. Lacan kommt in einer kleinen Passage seines Seminars über die Angst wie neben- her auf die Studien über Hysterie zurück. Im Vorübergehen reduziert er gleichzeitig Anna O. zum imaginären Objekt klein »a«, dem Köder für fremdes Begehren. Hier gibt jemand vor, den Zweck des hysterischen Sprechakts genau zu kennen, ohne auf seine palimpsestische Vielschichtigkeit Rücksicht nehmen zu müssen: Denn die Vieldeutigkeit des Codes, den die Hysterie aufruft, hält Lacan für künstlich produziert. Die Hysterikerin stellt die Problematik der »symbolischen Ordnung« aus, und gerade dadurch ist ihre Äußerung eine Falle für das Gegenüber, schwer abzuschütteln wie der Haken einer Angel. Indem Lacan das Leiden der Hysterike- rin – und den Arzt zugleich mit – enteignet, entwickelt er eine mitleidlose Ironie: Es gibt eine namens Anna O., die sich als Manöver des hysterischen Spiels schon ganz gut damit auskannte. Sie hat ihre ganze kleine Geschichte, alle ihre Phantasmen den Herren Breuer und Freud präsentiert, die sich darauf gestürzt haben, die darin herumgetollt sind wie kleine Fische im Wasser. Freud ist auf Seite 271 der Studien über Hysterie entzückt über die Tatsache, dass es trotzdem bei ihr nicht die geringste Abwehr gab. Sie lieferte so ihre ganze Sache ab. Man brauchte sich nicht darin zu verbeißen, um das ganze Paket zu bekommen. Offensichtlich befand sich Freud einer generösen Form des hysterischen Funktionierens gegenüber, und aus diesem Grunde hat, wie Sie wissen, Breuer das auf schroffe Weise deut- lich zu spüren bekommen, denn zusammen mit dem gewaltigen Köder hat er auch das kleine Nichts geschluckt und hat eine gewisse Zeit daran zu würgen gehabt. Er hat sich im Weiteren nicht mehr daran gerieben.43 Die Verknüpfung von Fiktion und historischer Wahrheit innerhalb des Dramas, zu dem Lacan die Fußnote schreibt, ist hier nicht zu klären. Die Dialektik von An- eignung und Enteignung verschärft sich aber in der ›Therapie‹ von Anna O. bis zu dem Punkt, in dem es um Pappenheims Überleben geht. Nach der Berechnung von Fritz Schweighofer hat Breuer im Zeitraum von eineinhalb Jahren über tau- send Stunden mit seiner Patientin verbracht. Er hat sich dabei, so fasst es Borch- Jacobsen zusammen, »wie viele andere Ärzte in derselben Situation […] im Kontakt mit seiner lodernden Hysterikerin die Flügel verbrannt«.44 42 | Lacan kommentiert den Fall Anna O. in diesem Sinn, vgl. Lacan: Funktion und Feld des Sprechens und der Sprache, S. 93-95; vgl. Borch-Jacobsen: Anna O. zum Gedächtnis, S. 17- 19. 43 | Lacan, Jacques: Das Seminar. Buch X, Die Angst, 1962–1963. Wien u.a.: Turia + Kant 2010, S. 70f. 44 | Vgl. Schweighofer, Fritz: Das Privattheater der Anna O. Ein psychoanalytisches Lehr- stück. Ein Emanzipationsdrama. München/Basel: Ernst Reinhardt 1987, S. 78.
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Transdifferenz und Transkulturalität Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
Title
Transdifferenz und Transkulturalität
Subtitle
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
Authors
Alexandra Millner
Katalin Teller
Publisher
transcript Verlag
Date
2018
Language
German
License
CC BY 4.0
ISBN
978-3-8394-3248-8
Size
15.4 x 23.9 cm
Pages
454
Keywords
transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
Category
Kunst und Kultur
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