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Transdifferenz und Transkulturalität - Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
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Ruth Whittle84 des (zugegebenermaßen etwas früheren) 19. Jahrhunderts hatte, wie Uta Treder in ihrem Aufsatz Das verschüttete Erbe. Lyrikerinnen im 19. Jahrhundert diskutiert.31 Erst nachdem der Protagonistin der finanzielle Schutz durch den Mann völlig genommen ist, bricht sie, so gesehen, aus der ihr bisher vertrauten »Pose beschei- dener Zurückhaltung« aus,32 die Erzählerin erschreibt ihr eine alternative Pose, in der sie sich behaupten kann und sich als vollwertige – plötzlich von ihr auch malba- re – junge Frau sieht und so in einem gewissen Sinne der Katastrophenlandschaft entkommt: »Und plötzlich sah sie das Bild, das sie lange gesucht […]: ein Weib, wie sie selbst, so nackt, so jung, so arm und umtost vom Sturm, der sie an den Haa- ren zerrt. Aber in ihren Augen sprüht der Triumph und gegen Wind und Wetter schwingt sie hoch in der Luft einen grünen Zweig.« (DL, S.  113.) In der zweiten Kurzgeschichte von Meisel-Heß, Die Verratene, gibt es kein Ent- kommen aus der Katastrophenlandschaft. Hier wirft sich eine allgemein für brav gehaltene bürgerliche Ehefrau, Adda North, über ein Treppengeländer im vierten Stock. Sie ist zum Rendezvous mit einem Gardeoffizier, dem Freiherrn Alex von Dobsky, zu früh gekommen, und ihr droht eventuell Entdeckung, während sie vor dessen Wohnungstür auf ihn wartet. Die Erzählerin macht uns durch einen Stream of consciousness in Adda klar, dass diese seit einer Fehlgeburt (ihrer ersten Geburt) ihr Leben in phantastischen und zumeist bedrohlichen Bildern erlebt: so die Tapete zu Hause, so auch das Treppengeländer hoch zum vierten Stock, das ihr wie eine sich windende Schlange vorkommt, die sie zu erdrücken droht. Die Erde, unten, ist ihr lieber und näher, und so sehen wir sie als Nächstes tot im Erdgeschoß liegen, umgeben von Neugierigen und der »Rettungsgesellschaft« (DV, S.  118). Der Offizier kommt zurück, sieht dieses Bild und leugnet vor den Anwesenden, die Frau zu kennen. Sie wird daraufhin in die Totenkammer gebracht »unter die Namenlosen – zur Agnoszierung« (DV, S.  119). Als Leserin von heute sind wir ge- neigt, die junge Frau für geisteskrank zu halten und sie zu bedauern. Außerdem wären wir verärgert darüber, dass sie sich einen so oberflächlichen Liebhaber aus- sucht, der nur ihren Körper und ihre Naivität schätzt. Allerdings kann man vor ihrem Mann schon Angst haben, besonders vor den (von ihr vorgestellten) »großen, kräftigen Händen« (DV, S.  116), mit denen er sie wie eine Fliege zerquetschen könn- te oder würde, wenn er von ihrer Untreue wüsste. Die Realität dieser Geschichte liegt aber doch etwas tiefer: Für beide Männer ist Adda ein Nichts, der eine unterhält sie und finanziert ihre verrückten Ideen, etwa ihren Wunsch, die Wohnung immer wieder neu tapezieren zu lassen, spricht aber nie mit ihr; der andere vermindert ihre »Pein« (DV, S.  114) etwas durch Sex, aber ohne an ihr persönlich Interesse zu haben. Die Geschichte zeigt so in herber Bruta- lität, wie bürgerliche Frauen in einer Konvenienzehe geistig und sexuell zugrunde gehen können, wie ihre eigentlichen Bedürfnisse nicht erkannt werden (können) und in welchem Grad sie in einer Gesellschaft vereinsamen, in der Sexualität, Geis- teskrankheit und eine Fehlgeburt tabuisiert sind. Der Plot der Geschichte alleine mag nicht glaubwürdig sein, aber der Stream of consciousness mit seinen brutalen, 31 | Treder, Uta: Das verschüttete Erbe: Lyrikerinnen im 19. Jahrhundert. In: Brinker-Gabler, Gisela (Hg.): Deutsche Literatur von Frauen. Bd. 2: 19. und 20. Jahrhundert. München: Beck 1988, S. 27-41. 32 | Ebd., S. 28.
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Transdifferenz und Transkulturalität Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
Title
Transdifferenz und Transkulturalität
Subtitle
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
Authors
Alexandra Millner
Katalin Teller
Publisher
transcript Verlag
Date
2018
Language
German
License
CC BY 4.0
ISBN
978-3-8394-3248-8
Size
15.4 x 23.9 cm
Pages
454
Keywords
transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
Category
Kunst und Kultur
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