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Transdifferenz und Transkulturalität - Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
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Ruth Whittle88 in Geist« (DWn, S.  44) bedeuten müsse. Dass diese Einsicht mehrfach wiederholt wird, macht dem Leser oder der Leserin klar: Sollte Tilling etwas zustoßen, so wäre das ein Verlust, der wie eine Kriegsverwundung empfunden würde, von der man sich eventuell nicht erholen kann, der eine »Ver-rückung« des Geistes, der eins war, zur Folge haben müsste. Dass es im »Dritten Buch« wieder zu einem Krieg kommen wird, erfahren der Leser und die Leserin schon in dessen Titel: 1864. Die zweite Passage, die hier analysiert werden soll, handelt von der Trennung des Ehepaars Tilling anlässlich dieses Krieges und ihrem Wiedersehen. Der von beiden mit Sorgen erwartete Stel- lungsbefehl, mit dem der Ehemann in den Krieg gegen Schleswig-Holstein beor- dert wird, trifft genau zu dem Zeitpunkt ein, als Martha das erste gemeinsame Kind auf die Welt bringen soll (vgl. DWn, S.  135f.). Sein Aufbruch bewirkt bei Mar- tha eine solche Aufregung, dass die Wehen beginnen und sie eine Totgeburt hat. Danach schwebt sie wochenlang in Lebensgefahr. Sie verfällt in ein »Delirium« (DWn, S.  141), in dem es ihr sonderbarerweise aber trotzdem gelingt, ihr Tagebuch weiterzuschreiben: In dem anormalen Wirbel des fiebernden Hirns bilden sich eben Begriffe und Vorstellungen, für welche die dem normalen Denken angepaßte Sprache keine Ausdrücke hat. Nur so viel kann ich andeuten – ich habe das phantastische Zeug in die roten Hefte zu fixieren gesucht: daß ich die beiden Ereignisse, den Krieg und meine Niederkunft, miteinander verwechselte. Mir war, als wären Kanonen und blanke Waffen – ich fühlte deutlich die Bajonettstiche – das Werkzeug der Geburt, und als läge ich da, das Streitobjekt zwischen zwei aufeinander los- stürmenden Armeen … (DWn, S. 141.) Sie erwacht schließlich mit dem Schrei »Die Waffen nieder – nieder!!« (ebd.) aus dem Delirium. Dass diese Passage angeblich teils aus dem Tagebuch zitiert ist, soll dem Leser oder der Leserin verdeutlichen, dass die Erinnerung authentisch und unmittelbar dargestellt wird und nicht nachträglich erschrieben ist. Es wird allerdings eine phy- sische Erklärung für das Delirium nachgeliefert: Das »fiebernde Hirn« hatte Mar- thas Verrückt-Sein ausgelöst. Darum braucht man sich aber keine Sorgen mehr zu machen, denn zum Zeitpunkt der Veröffentlichung fiebert es nicht, diese Phase liegt in der Vergangenheit und kann Martha 1889 nicht mehr schaden. Geburt wie auch Schlacht werden hier als Urkräfte dargestellt, die zu psychi- schem und physischem Versagen führen. Weder eine Geburt noch eine Schlacht kann, hat sie einmal angefangen, aufgehalten oder zivilisiert werden. Die Frau, Martha, erlebt gleichzeitig, was der Soldat auf dem Feld und die Mutter im Wochen- bett erlebt, und beide Ereignisse haben den gleichen Ausgang: Sie sind fruchtlos. Martha hat eine Totgeburt, die Folge von Schlachten sind Tote und Verwundete. Das aber auszudrücken, und gar durch eine Frau, ist so revolutionär, dass es so- zusagen nicht bei vollem Bewusstsein formuliert werden kann. Es geht nur, wenn man nicht ganz bei sich ist. Das heißt, dass die schreibende Martha/Bertha sich auf einer Gratwanderung zwischen Wahnsinn und Belanglosigkeit befindet, und sie wählt den Wahnsinn, denn Krieg und dessen Glorifizierung vernichten außer den Männern eben auch die Frauen und Mütter dieser Männer. Als Martha ihren schon tot geglaubten Mann wiedersieht, wird sie ein weite- res Mal wahnsinnig, diesmal »vor Freude […], ich fühlte es deutlich, als ich den
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Transdifferenz und Transkulturalität Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
Title
Transdifferenz und Transkulturalität
Subtitle
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
Authors
Alexandra Millner
Katalin Teller
Publisher
transcript Verlag
Date
2018
Language
German
License
CC BY 4.0
ISBN
978-3-8394-3248-8
Size
15.4 x 23.9 cm
Pages
454
Keywords
transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
Category
Kunst und Kultur
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