Page - 118 - in Transdifferenz und Transkulturalität - Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
Image of the Page - 118 -
Text of the Page - 118 -
Magdolna
Orosz118
Zusammenhänge und – im Falle der drei ausgewählten Stücke – bestimmte Sche-
mata erkennen, deren Variationen auf epochenspezifisch bedingte konzeptionelle
Verschiebungen hindeuten mögen. In allen drei Operetten geht es auf der Oberflä-
che der Handlung um Liebesgeschichten und Konflikte, die aus der sozialen, natio-
nalen, kulturellen oder ethnischen Stellung der betroffenen Personen resultieren
und die drei Stücke somit miteinander vergleichbar machen.
2.1.1 Brechung der Konventionen und Rückkehr zu ihnen
Eine der erfolgreichsten Operetten der so genannten »goldenen Ära« der Wiener
Operette, Der Zigeunerbaron von Johann Strauss, wurde 1885 uraufgeführt. Strauss
wählte für seine Operette eine ungarische Thematik und bearbeitete dabei eine
Erzählung des ungarischen Schriftstellers Mór Jókai, die von Ignaz Spitzer zum
Libretto umgearbeitet wurde und dadurch auch »österreichisch-monarchistische«
Akzente bekam.14 Der Ort der Handlung ist in eine entfernte Region Ungarns ver-
legt, was ihm bestimmte exotische Züge verleiht; die Handlungszeit ist um gut ein
Jahrhundert in die Herrschaft von Maria Theresia zurückverlegt, wodurch die his-
torisch-politische Aktualität des Stückes teilweise kaschiert wird. Im Zentrum der
Geschichte steht Sándor Barinkay, eine zwielichtige Figur, ein Ungar, der aus dem
einst seinem Vater auferlegten Exil zurückkehrt und in die romantisch verklärte
Zigeunerwelt eingegliedert wird, dann nach etlichen Verwirrungen die (angebli-
che) Zigeunerin Saffi heiratet, das Vaterland, d.h. hier Maria Theresias Herrschaft,
rettet und, in seine Rechte zurückversetzt, rehabilitiert wird.
Vor einem politischen Hintergrund, worauf noch zurückgekommen werden
soll,15 entfalten sich parallele und einander durchkreuzende Liebesgeschichten: Es
gibt hier zwei Liebespaare, zu denen auch noch ein drittes hinzugefügt wird, das
aber eher als Zerrspiegel der anderen beiden fungieren soll. Im Vordergrund steht
das Liebespaar Barinkay–Saffi, deren Beziehung, von »mehrfache[n] sozial-poli-
tische[n] Verquerungen«16 bestimmt, auch mehrere Phasen durchläuft: Barinkay
wird auf Saffi erst aufmerksam, nachdem Arsena ihn nicht heiraten will – übri-
gens wirbt er um Arsena nicht um ihrer selbst willen, sondern um seine Güter von
Zsupán zurückzubekommen. Beide Frauenfiguren werden damit gewissermaßen
instrumentalisiert (Saffi deutet Barinkays Wendung sogar als »böse[n] Scherz«17),
und die Idee der Liebesheirat, die angeblich alle anstreben, erhält einen kritisch-
ironischen Unterton. Die erste Phase der Liebe zu Saffi entfaltet sich außerhalb
sozialer Konventionen: Barinkay wird zwar Zigeunerbaron genannt, aber er ist ein
Vagabund. In beiden Qualitäten haftet ihm etwas Asoziales an, wie es in seinem
Eintrittslied suggeriert wird:
14 | Zu Jókais Erzählung beziehungsweise den Veränderungen, die im Libretto vorgenom-
men wurden, vgl. Orosz, Magdolna/Rácz, Gabriella: »Alles gelungen«. Exotismus, Fremdheit
und Identität in der Operette der k.u.k. Monarchie. In: Fenyves, Miklós u.a. (Hg.): Habsburg
bewegt. Topografien der Österreichisch-Ungarischen Monarchie. Frankfurt a.M.: Peter Lang
2013, S. 167-183.
15 | Dieser Aspekt wird bei der Betrachtung der ethnisch-kulturellen Fragen der drei Ope-
retten noch näher erörtert.
16 | Csáky: Ideologie der Operette und Wiener Moderne, S. 81.
17 | Strauß, Johann: Der Zigeunerbaron. Operette in 3 Acten. Libretto von J. Schnitzer. Ham-
burg: Cranz [o.J.], S. 23.
Transdifferenz und Transkulturalität
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Title
- Transdifferenz und Transkulturalität
- Subtitle
- Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Authors
- Alexandra Millner
- Katalin Teller
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3248-8
- Size
- 15.4 x 23.9 cm
- Pages
- 454
- Keywords
- transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
- Category
- Kunst und Kultur