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Die periphere Genese der österreichischen Kinder- und Jugendliteratur 143
Während Sonnleitner in den Höhlenkindern, die man poetologisch als Kultur-
Robinsonaden titulierte,26 noch in einem eher ahistorischen und auch geografisch
unbestimmten Raum verblieb, sind die Hegerkinder sehr gegenwartsbezogen.
Handlungsraum ist die in den Titeln genannte Lobau um Aspern, am Rande von
Wien, nahezu ein Urwaldgebiet, das zur Zivilisation der nahen Großstadt in schrof-
fen Gegensatz gesetzt wird. Das von Sonnleitner gewählte Milieu betont nun wie-
der die Perspektive von außen auf die Reichs- und Residenzhauptstadt, was man
vereinfachend Sozial- oder Gesellschaftskritik oder auch Stadt-Land-Gegensatz
nennen kann, was aber doch auch dem sozialkritischen herkunftsbedingten Blick
des Verfassers entspricht. Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammen-
hang das vierte der insgesamt sieben Kapitel »Von der guten alten Zeit«, in dem der
an sich bedächtige Vater der Protagonistenkinder geradezu aufbrausend gegen das
Vorurteil argumentiert, dass in der Monarchie früher alles gut gewesen sei. Daraus
lässt sich eine durchaus kritische Haltung des Autors gegenüber zeitgenössischer
konservativer Einstellung zum Wirken des Herrscherhauses ableiten.
2.5 Franz Karl Ginzkey (1871–1963) –
Hatschi Bratschis Luftballon (1904)
Auch Franz Karl Ginzkey, der Autor des in Österreich sehr populären Klassikers
Hatschi Bratschis Luftballon (1904), das von all den hier genannten Werken gewiss
die auflagenstärkste Tradierung erfahren hat, stammt aus einem Randgebiet der
Monarchie. Sein Vater war sudetendeutscher Berufsoffizier und Marinetechniker
in Pula/Pola/Pulj (Kroatien), wo Ginzkey zur Welt kam und in Militärschulen er-
zogen wurde.
Das Werk erschien als eines der frühesten Bücher des noch jungen, von Peter
Rosegger geförderten Autors. Um über die zweifelhafte, im allgemeinen Under-
statement der so genannten schwarzen Pädagogik zugeordnete Tendenz dieses
Bilderbuches aufzuklären, in dem noch alle Kinderängste der Warn- und Besse-
rungsgeschichten des 19. Jahrhunderts aufgehoben scheinen, sollte man den Ent-
stehungshorizont etwas mehr als bisher erhellen sowie auch die Position dieser
Bilderbuchgeschichte im Gesamtœuvre des Autors bestimmen. Das meist nur sin-
gulär und immanent interpretierend be- und verurteilte Bilderbuch ist nur eines
von mehreren kinderliterarischen Werken Ginzkeys, das zusammen mit zumindest
drei weiteren, einander sehr ähnlichen als ein kinderliterarisches Quartett gesehen
werden sollte, dessen Entstehung sich über ein halbes Jahrhundert erstreckt.27
Die scheinbar autoritäre Hatschi Bratschi-Geschichte entstand 50 Jahre nach
Heinrich Hoffmanns Struwwelpeter (1844) – einer Zeit, in der u.a. Paula und Ri-
chard Dehmel mit ihrem Fitzebutze (1900, nach erster Konzeption 1894) dazu an-
setzten, die lange währende und als nicht mehr zeitgemäß empfundene Tradierung
des Hoffmann’schen Bilderbuchklassikers abzulösen. Vor diesem Hintergrund
wird erkennbar, dass Ginzkey seinen Hatschi Bratschi gewiss nicht zufällig zum
sechzigsten Jubiläum des Werkes von Heinrich Hoffmann in ähnlicher Absicht
verfasste. Abgesehen vom gleichen Versmaß zeigt sich das in der ironischen Über-
26 | Seibert: A. Th. Sonnleitner, S. 54.
27 | Florians wundersame Reise über die Tapete (1928), Taniwani (1947) und Der Träumer-
hansl (1952) wären vergleichend und ergänzend mitzubetrachten.
Transdifferenz und Transkulturalität
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Title
- Transdifferenz und Transkulturalität
- Subtitle
- Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Authors
- Alexandra Millner
- Katalin Teller
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3248-8
- Size
- 15.4 x 23.9 cm
- Pages
- 454
- Keywords
- transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
- Category
- Kunst und Kultur