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Ernst
Seibert150
Gerade bei dieser Autorin drängt sich der Begriff der Gegenmoderne, also eines
Rückfalles in eine naive Kindertümlichkeit, als Charakteristikum auf; aber er ist
sicher nicht ausreichend, um die Eigenart ihres Erfolges zu begründen. Sowohl bei
ihr als auch bei den anderen Autorinnen und Autoren, die als immer wieder ge-
nannte auch populäre Repräsentantinnen und Repräsentanten einer seit der Jahr-
hundertwende entstehenden österreichischen KJ-Literatur gelten, findet sich als
ein Grundmotiv die Erinnerung an eine verlorene Kindheit, wobei der Verlust sehr
konkret mit der besonderen historischen Entwicklung Österreichs begründet ist.
Kindheitserinnerungen, die in diesem Ensemble von Klassikern thematisiert wer-
den, sind vielfach auch Erinnerungen an eine Welt in vormoderner Zeit in jenen
Ländern, die nach 1918 nicht mehr zu Österreich gehörten.
Auch dieser Erklärungsansatz ist jedoch nur bedingt ausreichend, um die
Eigenart der österreichischen KJ-Literatur dieser Jahrzehnte zu begründen und be-
darf noch einer Ergänzung: Die lange anhaltende Rezeption einzelner Werke wur-
de bisher ausschließlich textbezogen argumentiert. Es darf jedoch nicht hintange-
stellt oder gar unerwähnt bleiben, dass wir es mit einem Zeitraum zu tun haben,
in dem die Illustration von KJ-Literatur eben in Österreich wie kaum jemals zuvor
und danach einen Höhenflug erreicht hat. Dazu liegt seit 2008 Friedrich C. Hel-
lers opulentes Handbuch Die bunte Welt vor, dessen genaueste und kenntnisreichs-
te Erklärungen zu 1.294 österreichischen KJ-Literatur-Werken dieses Zeitraums
mit ausführlichstem lexikalischem und Registerteil die andere Seite dieser Litera-
tursparte, die Illustration, erschließt. Hellers unbestreitbar richtige Grundthese,
dass das Kinderbuch immer auch zusammen mit seiner Bebilderung betrachtet
werden muss, macht die interdisziplinäre Diskussion dieser Thematik unumgäng-
lich. Freilich gibt es aber, wie auch Heller einräumt, eine Fülle von kj-literarischen
Werken, die vom Text her nicht eben großes Interesse hervorrufen und zu Recht
vergessen wurden. Vor diesem Hintergrund ist der vorliegende Beitrag als ein Ver-
such zu sehen, aus der Vielfalt und dem Umfang des Textkorpus unter dem As-
pekt einer textorientierten Klassiker-Genese zu selektieren und ein Ensemble von
Werken erkennbar zu machen, das in seiner Verbundenheit mit der allgemeinen
literarischen Entwicklung in engem Zusammenhang steht. Vielleicht könnte eine
Koppelung der Text- und Bildzugänge in der Interpretation dazu führen – wie in
anderen Sprachräumen, v.a. Skandinavien und England bereits gang und gäbe –,
auch in Österreich von einem Goldenen Zeitalter der Kinderliteratur zu sprechen.
liTeraTur
Adler, Emma: Feierabend. Ein Buch für die Jugend. Wien: Ignaz Brand 1902.
Amann, Klaus: Die Brückenbauer. Zur ›Österreich‹-Ideologie der völkisch-natio-
nalen Autoren in den dreißiger Jahren. In: ders./Berger, Albert (Hg.): Österrei-
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Doderer, Klaus: Klassiker der Kinder- und Jugendliteratur. In: ders. (Hg.): Lexikon
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Doderer, Klaus: Literarische Jugendkultur. Kulturelle und gesellschaftliche As-
pekte der Kinder- und Jugendliteratur in Deutschland. Weinheim/München:
Juventa 1992.
Transdifferenz und Transkulturalität
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Title
- Transdifferenz und Transkulturalität
- Subtitle
- Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Authors
- Alexandra Millner
- Katalin Teller
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3248-8
- Size
- 15.4 x 23.9 cm
- Pages
- 454
- Keywords
- transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
- Category
- Kunst und Kultur