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Tamara
Scheer158
Unterschiede. Einen Großteil des Offizierskorps bildeten die Reserveoffiziere. Ma-
turanten hatten die Möglichkeit, eine Ausbildung zum Offizier zu machen, statt als
einfache Soldaten zu dienen. Sie kehrten nach ihrem Militärdienst in die Zivilwelt
zurück. Auch die den Offizieren »Gleichgestellten« bildeten eine Gruppe für sich,
etwa die Militärärzte, welche zu einem großen Teil jüdischen Glaubens waren. In-
nerhalb der Mannschaften gilt es wiederum, zwischen den einfachen Soldaten,
niedrigen Chargen und den länger dienenden Unteroffizieren zu unterscheiden.
Für Längerdienende war der Militärdienst über einen langen Zeitraum hinweg
ihr Brotberuf – wie die Berufsoffiziere identifizierten sie sich weitaus stärker mit
der Institution als die einfachen Soldaten und Reserveoffiziere. Dies bedeutet für
die Selbstzeugnisse: Wer Karriere machen wollte, verhielt sich und schrieb eher
systemkonform über die Armee und ihre Nationalitätenfrage. Offiziere mit slavi-
schem Familienhintergrund fühlten sich in einer anderen Region mit slavischer
Bevölkerung weniger als Fremdkörper als etwa Deutsche oder Ungarn. Wer aus
einer mehrsprachigen multiethnischen Region stammte oder dessen Eltern ver-
schiedenen Nationalitäten angehörten, fühlte sich in einer Gemengelage, wie sie
in der Armee herrschte, eher beheimatet als beispielsweise jemand aus dem rein
deutschsprachigen Salzburg.
Zu guter Letzt war es auch eine Generationenfrage. Die Bevölkerung der Habs-
burger Monarchie, ihre Schulbildung, Sprachkenntnisse und Haltung gegenüber
der Nationalitätenfrage im besprochenen Zeitraum änderten sich radikal. Dies war
in der gemeinsamen Armee v.a. bezüglich der Sprachkenntnisse von Bedeutung.
Die einfachen Soldaten wie auch die Offiziere blickten 1914 auf eine völlig andere
Schulausbildung zurück als im Jahr der Heeresreform 1868. Nicht nur waren sie al-
phabetisierter, sondern es standen ihnen unterschiedliche Medien zur Verfügung.
Viele hatten keine Schulen mehr mit deutscher Unterrichtssprache besucht. Eine
steigende Zahl von Reserveoffizieren hatte ihre gesamte Schulbildung, inklusive
Gymnasien, in ihrer Muttersprache absolviert. Die Armeeführung stellte Anfang
des 20. Jahrhunderts einen drastischen Niedergang der Deutschkenntnisse fest.
Während die Deutschkenntnisse weniger wurden, stiegen aufgrund der Magyari-
sierungspolitik die Ungarischkenntnisse an.8
Doch auch die soziale Herkunft der Offiziere hatte sich radikal verändert. Im
Jahr 1868 entstammten noch viele der Aristokratie und großbürgerlichen Fami-
lien, während 1914 der Großteil entweder aus dem Militär oder Beamtentum bezie-
hungsweise dem Kleinbürgertum kam. Hier ist allerdings zu bemerken, dass diese
Offizierssöhne, die so genannten Tornisterkinder, häufig ethnisch gemischten Fa-
milien entstammten und somit bislang eher unterrepräsentierte ethnische Grup-
pen ebenfalls Offiziere stellten. Offiziere heirateten häufig die Töchter aus den Gar-
nisonsstädten, in denen sie stationiert waren, also etwa Slovakinnen, Rumäninnen,
Rutheninnen oder Sloveninnen. Viele dieser ethnisch gemischten Kinder besuch-
ten allerdings schon früh vormilitärische Ausbildungsstätten, in denen Deutsch
die Unterrichtssprache war. Außerdem wurde daheim meist die Umgangssprache
des Offizierskorps, nämlich Deutsch, gesprochen, was sie nach außen hin als eth-
nisch deutsch erscheinen ließ. Dies alles gilt es bei der Auswertung der Selbstzeug-
8 | Vgl. Dolmányos, István: Kritik der Lex Apponyi. In: Hanák, Péter (Hg.): Die nationale Fra-
ge in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie 1900–1918. Budapest: Akadémiai 1966,
S. 233-304.
Transdifferenz und Transkulturalität
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Title
- Transdifferenz und Transkulturalität
- Subtitle
- Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Authors
- Alexandra Millner
- Katalin Teller
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3248-8
- Size
- 15.4 x 23.9 cm
- Pages
- 454
- Keywords
- transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
- Category
- Kunst und Kultur