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Tamara
Scheer162
stand und Reserve) nur in jener Sprache in Rechnung gezogen, welche er als seine
Umgangssprache (Nationalität) angab.«16 So lautete die offizielle Vorgabe. Bewusst
wurde die Nennung der Muttersprache – wie in der österreichischen Zivilwelt –
vermieden. Dies war konfliktfrei, wenn der Betreffende einsprachig oder aber nur
Sprachen mächtig war, welche keinen offiziellen Status als Regimentssprachen be-
saßen, etwa Englisch, Französisch oder Russisch.
Eine Durchsicht der Grundbuchblätter jener Personen, die mehrere Sprachen
der Donaumonarchie beziehungsweise mögliche Regimentssprachen beherrsch-
ten, lässt den Schluss zu, dass nur in den allerseltensten Fällen eine Hervorhebung
der Erstsprache erfolgte. Es kann davon ausgegangen werden, dass die erstgenann-
te Sprache sich auf die Muttersprache bezog. Doch wohl nicht immer. In den böh-
mischen Regimentern findet sich bei den Zweisprachigen als erster Eintrag das
Deutsche, selbst in Fällen, in denen der Betroffene Tschechisch als Erstsprache
hatte. Da im Verlauf einer Soldatenkarriere aber mehrfach Grundbuchblätter an-
gelegt wurden, findet sich bei derselben Person einmal Deutsch auf dem ersten
Platz gefolgt von Tschechisch, ein paar Jahre später sind die beiden Sprachen in
umgekehrter Reihenfolge gelistet.17 Das Grundbuchblatt wurde nicht selbst aus-
gefüllt, sondern von einer Kanzleiperson. Deshalb dürfte jene Sprache, derer sich
dieser Kanzlist bediente, wohl in vielen Fällen ausschlaggebend für die Reihung
der Sprachen gewesen sein. Fragte er etwa zunächst, »Sprechen Sie Deutsch?«,
wird diese Sprache an erster Stelle platziert worden sein. Deutsch war schließlich
die Dienstsprache. Es gab aber auch Regimenter, in denen aufgrund der Zusam-
mensetzung der Soldaten Deutsch nicht die dominierende Sprache war. Etwa in
Ungarn oder in Galizien. Statistiken zeigen, dass viele Unteroffiziere, welche für
die Kanzleitätigkeit herangezogen wurden, kein oder nur wenig Deutsch konnten,
obwohl sie es hätten beherrschen müssen.18 Hier wird der Kanzlist wohl zunächst
gefragt haben, ob der Betreffende Ungarisch verstehe oder Polnisch. Andere in der
Region ansässige Sprachen werden dann wohl eher an zweiter Stelle gereiht wor-
den sein. Obwohl die Habsburger Monarchie und besonders die Armee als über-
bürokratisiert und reguliert angesehen wurden, konnten sich keine schriftlichen
Vorgaben für diesen Prozess in den Archiven finden. Es gab allerdings wiederkeh-
rend Beschwerden, und die Reaktion des Kaisers zeigt, dass er diesbezüglich keine
grundsätzlichen und generellen Entscheidungen treffen wollte. Vielmehr verwies
er darauf, dass die untergeordneten militärischen Stellen dies selbsttätig vor Ort
regeln sollten. Somit wurden, wie Deák es formulierte, »alle Kontroversen erfolg-
reich in einem Meer von Papier ertränkt«.19 Dies dürfte unterschiedliche Praktiken
innerhalb der Gesamtmonarchie verursacht haben, die abhängig von den jeweils
handelnden Offizieren und Kanzlisten vor Ort waren.
Gemäß seiner »eigenen« Sprache im Grundbuchblatt wurde der Rekrut dann
einer Ausbildungseinheit eingegliedert und diente für drei (später zwei) Jahre in
16 | Österreichisches Staatsarchiv [ÖStA]/Kriegsarchiv [KA]/KM, Präs, 50-31/1, 1905,
Beilage. Regimentssprachen.
17 | Diese Aussage bezieht sich auf die Auswertung mehrerer Jahrgänge von Grundbuch-
blättern böhmischer Regimenter: Vojenský Ústředni Archiv, Prag,Kmenový list, bspw. 1874,
Nachname beginnend mit dem Ma, Kt. Nr. 315.
18 | Vgl. ÖStA/KA/RKM, Präs, 50-24, 1903.
19 | Deák: Der K.(u.)K. Offizier, S. 78.
Transdifferenz und Transkulturalität
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Title
- Transdifferenz und Transkulturalität
- Subtitle
- Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Authors
- Alexandra Millner
- Katalin Teller
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3248-8
- Size
- 15.4 x 23.9 cm
- Pages
- 454
- Keywords
- transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
- Category
- Kunst und Kultur